Flammen über Arcadion
Antwort wollte sie hören?
»Das Gleiche könnte man dir vorwerfen«, entgegnete Jonan. »Du hast in der Richtkammer nichts anderes getan. Für diesen Tobyn und seine Geliebte Rajael haben Miraela und du ebenfalls alles geopfert.«
»Miraela und Rajael sind ein und dieselbe«, gestand Carya zu ihrer Überraschung. »Ich habe mir den Namen Miraela nur ausgedacht, um Rajael zu schützen.«
»Das heißt, du hast geschossen und dabei › Rajael liebt dich ‹ gerufen?«
Einen Moment lang fragte Carya sich, ob sie Jonan zu früh zu viel von sich preisgab.Andererseits hatte er seinen Kameraden mit einem Schockstab gefällt und ihr zur Flucht verholfen. Sie saßen im selben Boot. Sie nickte. »Ja. Das war ich. Aber ich war in diesem Moment wirklich nicht bei Sinnen!«
Jonan beugte sich ein wenig vor. »Das heißt, du würdest in der gleichen Lage nicht wieder so handeln?«
Darüber hatte Carya noch gar nicht nachgedacht. Ihr Verstand riet ihr, mit einem »Nein« zu antworten. Aber als sie genauer in sich hineinhorchte, erkannte sie, dass das nicht der Wahrheit entsprochen hätte. »Doch«, gestand sie über sich selbst erstaunt. »Ich glaube, das würde ich.«
»Siehst du: Ich auch.«
Carya spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. »Ich binfroh,dass du mich nicht für das hasst, was du meinetwegen tun musstest.«
»Dich hassen?«, wiederholte Jonan. »So ein Unsinn. Es gäbe eine Menge Leute, die meinen Hass eher verdient hätten als du. Nein, ich hasse dich nicht. Im Gegenteil.«
»Dann hast du das in der Kutsche vorhin ernst gemeint? Dass wir uns gemeinsam verstecken und über unsere weiteren Schritte nachdenken?« Er hatte diese Sätze so beiläufig und mit einer Selbstverständlichkeit geäußert, dass sie nicht sicher war, ob er sie wirklich durchdacht hatte. Jonan mochte sie gerettet haben. Aber warum sollte sich ein Soldat wie er, der alle Eigenschaften aufwies, die man brauchte, um im Feindesland zu überleben, mit einer dummen Zivilistin wie ihr abgeben?
Seine verblüffte Miene bewies ihr jedoch, dass ihre Sorge umsonst gewesen war. »Ja, natürlich! Was dachtest du denn? Dass ich dich hier zurücklasse? Kommt nicht in Frage. Wir sind gemeinsam in diese Lage geraten, wir suchen gemeinsam nach einem Ausweg. Aber nicht mehr heute Nacht.« Er gähnte herzhaft. »Ich bin hundemüde. Und in vier Stunden müssen wir schon wieder von hier verschwinden. Also lass uns wenigstens versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen. Wir werden ihn brauchen.«
»Einverstanden«, sagte Carya nickend, leerte mit einem letzten Schluck ihre Tasse mittlerweile kalten Malzkaffees und stellte sie auf das Tablett.
Jonan tat es ihr gleich, nahm dann das Tablett sowie eine der Wolldecken und erhob sich. »Schlaf du auf dem Sofa. Ich werde die Bequemlichkeit dieses Schreibtischstuhls auf die Probe stellen.« Er stellte das Tablett auf den Schreibtisch und dämpfte das Licht der Stehlampe. Anschließend ließ er sich auf den Sessel fallen, der quietschend unter seinem Gewicht nachgab. »Oha«, murmelte Jonan. »Zum Glück bin ich Soldat und habe gelernt, überall zu schlafen.« Er streckte die Beine aus und zog die Wolldecke über sich.
Carya rollte sich auf dem Sofa zusammen. »Gute Nacht,Jonan«, sagte sie.
»Schlaf gut, Carya. Ich wünsche dir, dass dich keine Albträume plagen.«
Dieser Wunsch sollte sich bedauerlicherweise nicht erfüllen.
Kapitel 17
D er nächste Morgen kam schneller, als es Jonan lieb war. Es mochte Capolitto wundern, als er kam, um sie zu wecken, dass sich Jonan und Carya nicht das Sofa teilten, aber er sagte nichts, sondern stellte ihnen einfach nur zwei frische Tassen Malzkaffee hin – offensichtlich besaß der alte Nachtwächter unerschöpfliche Vorräte davon. »In einer halben Stunde kommen die ersten Packer«, sagte er, als er sich wieder zum Gehen wandte. »Versucht bitte, vorher von hier verschwunden zu sein.«
»In Ordnung«, erwiderte Jonan, während er sich ächzend aus dem quietschenden Sessel hinter dem Schreibtisch erhob. Er sah, dass sich Carya ebenfalls vom Sofa aufrappelte und die Schläfen rieb. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Sie schien nicht viel geschlafen zu haben.
»Wie geht es dir?«, fragte er, nachdem Capolitto verschwunden war. Er hielt ihr eine Tasse Kaffee hin.
»Nicht so gut«, presste sie hervor. »Und danke, aber ich vertrage nicht noch mehr Kaffee auf leeren Magen.«
»Wir können uns nachher etwas zu essen besorgen«, versuchte er sie aufzumuntern. »Aber
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