Flammen über Arcadion
an. »Möchtest du Signora Sonntag oder Signora Montag sein?«
»Nicht mal im Traum würde ich daran denken, irgendwas für dich … «
»Seid still, ihr zwei«, unterbrach Ugo sie. »Aufgepasst. Es geht los.«
Sofort verstummte Carya und richtete ihren Blick auf die Straße. Tatsächlich war am Straßenende rechts von ihnen soeben eine schwere, dunkle Kutsche eingebogen. Sie besaß eine kastenförmige Kabine mit schmalen, vergitterten Fenstern, wurde von vier mächtigen Kaltblütern gezogen, und auf dem Kutschbock saßen zwei uniformierte Wachleute. Ein weiterer Bewaffneter ritt vorneweg, und zwei folgten dem Fuhrwerk.
Ugo griff in seine Jacke, in deren Innentasche, wie Carya wusste, eine Pistole steckte. Als er sie hervorholte, zitterte seine Hand.
»Ist alles in Ordnung?«, wollte Carya wissen.
»Es sind so viele Wachen. Wir hatten gehofft, sie einfach einschüchtern zu können. Aber ich fürchte, daraus wird nichts. Was, wenn sie uns angreifen?« Der bärtige Mathematiker wirkte unsicher.
»Das sind nur fünf Männer«, entgegnete Carya. »Wir sind mehr als die.«
»Aber es sind Soldaten.«
Entschlossen streckte Carya die Hand aus. »Gib die Waffe mir. Ich kümmere mich um diese Burschen.«
»Meinst du wirklich? Eigentlich müsste ich … «
»Unsinn«, unterbrach Carya ihn. »Wenn die deine zitternde Hand sehen, glauben die nachher wirklich, sie könnten mit uns fertig werden.Außerdem sind es meine Eltern, damit ist es sowieso meine Aufgabe.« Sie war selbst überrascht, wie ruhig ihre Worte klangen. Innerlich klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Vielleicht lag es daran, dass sie nach dem Kampf am Tribunalpalast glaubte, diesen Männern überlegen zu sein. Sie hatte keine Ahnung, woher die fragwürdige Gabe rührte, und sie hatte sicher nicht darum gebeten, aber sie war da – oder sie würde zumindest da sein, wenn es ernst wurde. Dessen war sie sich plötzlich ganz sicher.
Wortlos schob Ugo ihr die Pistole zu. Auf seinem Gesicht lag stumme Dankbarkeit.
Carya schaute auf ihre Armbanduhr. Es wurde Zeit, dass Jonan und die anderen auftauchten.
Wie gerufen erschien am entgegengesetzten Ende der Straße der Lastkarren. Zwei Uniformierte und ein junger Mann in einem braunen Overall saßen auf dem Kutschbock: Dino, Onkel Giac und Lando. Auf der Ladefläche lag eine Kampfpanzerung, die allem Anschein nach zur Reparatur gebracht wurde.
Fast zeitgleich war im Osten der Stadt ein ferner Donnerschlag zu hören, kurz gefolgt von einem zweiten. Adara und Gabriela , dachte Carya. Sie hatten die Sprengsätze gezündet, die Dino ihnen gebaut hatte. Es handelte sich um harmlose Feuerwerke, die zwar mächtig Krach und Rauch erzeugten, aber keine Menschen gefährdeten. Zumindest war das der Plan.
Die Stadtwachen, die den Gefangenentransport begleiteten, sahen sich fragend an, hielten aber nicht an. Wahrscheinlich dachten sie, die Explosionen, oder was immer das Geräusch verursacht hatte, seien zu weit weg, um sie unmittelbar zu betreffen. Falsch gedacht , ging es Carya durch den Sinn.
Im gleichen Moment erreichten sich die beiden Fuhrwerke. Die Stadtwachen entboten Dino, Giac und Lando schweigend ihren Gruß.
Dann ging auf einmal alles sehr schnell. Auf der Ladefläche des Fuhrwerks erwachte die leer und tot geglaubte Hülle der Kampfpanzerung zum Leben. Sie richtete sich auf und hielt plötzlich ein Sturmgewehr in der Hand, dessen Lauf herumschwenkte und den vorderen Wachreiter ins Visier nahm. Die Stadtwachen schrien überrascht auf, doch der Schrei blieb ihnen im Halse stecken, als Dino den Karren herumriss und auf der Straße querstellte, um der Gefängniskutsche den Weg zu versperren. Gleichzeitig zogen Giac und Lando Waffen und zielten auf die Wachen auf dem Kutschbock. »Keine Bewegung!«, schrie Lando mit vor Aufregung schriller Stimme. »Hände hoch.«
Ohne darüber nachzudenken, wie absurd diese Abfolge an Befehlen war, sprang Carya zusammen mit Ugo und Pitlit aus der Seitengasse. Bevor die hinten reitenden Wachen auch nur ganz begriffen hatten, was vor sich ging, hatte Carya die Pistole hochgerissen. Alles um sie herum schien sich zu verlangsamen. Ihre Sinne wirkten auf einmal unnatürlich geschärft. Sie wusste, was sie zu tun und wie sie es zu tun hatte.
Ohne zu zögern drückte sie ab und traf den vorderen Soldaten am Hals. Der Mann schrie auf und sackte auf seinem Pferd zusammen, das daraufhin erschreckt scheute, kehrt machte und die Straße zurückgaloppierte.
»Was machst du da?«, entfuhr es
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