Flammen über Arcadion
»Danke für die Hilfe.«
»Gern geschehen«, sagte Carya. Sie richtete sich in eine halb sitzende Position auf und schaute zu Picardo hinüber. Der Kunstmaler saß eigenartig verkrümmt auf dem Kutschbock. Auf Händen und Knien kroch sie zu ihm hinüber.
»Picardo, was ist mit Ihnen?«
Der Mann drehte ihr das Gesicht zu. Auf seinen Zügen lagen Schmerz und ein gerüttelt Maß an Empörung. »Diese Bastarde haben mich getroffen. Ich kann es nicht fassen, dass sie mich tatsächlich erwischt haben.«
Carya zog sich auf den Kutschbock und besah sich seine Verletzung. Sein farbenfrohes Hemd wies an der rechten Schulter einen roten Fleck auf, der dort nicht hingehörte. Auch sein rechter Ärmel war blutverschmiert, wobei Carya nicht zu sagen vermochte, ob dieser Umstand einer zweiten Wunde geschuldet war oder auf die erste zurückging.
»Was haben Sie erwartet?«, fragte sie ihn kopfschüttelnd. »Sie sind mitten durch die Soldaten geprescht!«
»In jeder Heldengeschichte sind die Soldaten des Feindes stets diejenigen, die am wenigsten vom Kämpfen verstehen. Da stürmen Männer durch Kugelhagel, ohne getroffen zu werden.«
»In Büchern! Das hier ist die Wirklichkeit.«
»Willst du dich etwa beschweren, Mädchen, dass ich dir und diesem verlausten Bengel das Leben gerettet habe?« Er funkelte sie erbost an.
Carya schluckte und schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Wir danken dir dafür, Picardo.«
»He, und sieh es mal so«, meldete sich Pitlit zu Wort. »Wenn du das überlebst, wirst du ein paar echt schicke Narben haben. Frauen lieben solche Zeichen von Heldenmut, stimmt doch, oder?«
»Äh, nun ja«, sagte Carya gedehnt.
»Ha!«, presste Picardo hervor. »Das setzt natürlich voraus, dass ich jemals wieder mein Gesicht auf den Straßen von Arcadion zeigen kann. Wie ich mein Glück kenne, werde ich zukünftig nur noch irgendwelchen Räuberbräuten und Mutantinnen meine Narben zeigen können.«
»Wenn er sich beschweren kann, geht’s ihm nicht so schlecht«, meinte Pitlit.
Carya hoffte, dass der Junge recht behielt.
»Jonan, kommen Sie! Wir müssen hier weg.« Dinos Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung, während er mit Mühe die Pferde davon abhielt durchzugehen.
»Ich würde, wenn ich könnte«, erwiderte Jonan gepresst. Aber seine Kampfpanzerung und sein Sturmgewehr waren das Einzige, was die verbliebenen Soldaten des Tribunalpalasts daran hinderte ihr Fluchtfahrzeug unter schweren Beschuss zu nehmen. Nur solange er sie in Deckung zwang, hatten sie eine Chance. Und ein Blick auf seine Munitionsanzeige sagte ihm, dass es damit bald vorbei sein würde.
Er wünschte sich eine Rauchgranate – nur eine einzige Rauchgranate. Leider waren die Templer damals ohne derartige Unterstützungswaffen zu ihrer Festnahme von Carya und deren Eltern aufgebrochen. Letzten Endes blieb ihm nur der langsame Rückzug und die Hoffnung, dass die Soldaten ihnen nicht folgen würden. Absurd , fuhr es ihm durch den Kopf. Natürlich folgen sie uns. Es ist ihre Aufgabe, uns festzunehmen oder zu erledigen.
Er warf einen raschen Blick hinter sich die Straße hinunter. Dabei entdeckte er etwas, das ihnen den Kopf retten mochte. Oder sie umbringen würde, je nachdem. »Giac!«, schrie er Caryas Onkel zu, der noch immer mit einem der Soldaten auf dem Kutschbock der Gefängniskutsche rang. »Wir ziehen uns zurück.« Er wandte sich Dino zu. »Aber langsam, schön langsam.«
Neben ihm setzte sich das Fuhrwerk in Bewegung. Derweil gelang es Giac vor ihm auf der Gefängniskutsche endlich, den Kopf des Soldaten gegen den Metallgriff am Rand des Kutschbocks zu schlagen und ihn damit lange genug zu betäuben, um sich von ihm lösen zu können. Blutend und mehr vom Kutschbock fallend als kletternd schloss sich Caryas Onkel Jonan an. Er hatte seine Pistole im Kampf verloren – eine beunruhigende Neigung bei Zivilisten. Damit blieb ihnen nur noch Jonans Sturmgewehr mit einem einzigen vollen Magazin und seine Pistole, die allerdings bei Dino auf dem Kutschbock lag …
… und außerdem die hüfthohe Gaskartusche, ein grauer Metallzylinder mit Warnsymbolen, der linker Hand neben der hölzernen Kellerklappe eines der Häuser an der Wand lehnte.
»Nach links«, rief Jonan Dino zu, während er Giac an seiner Uniformjacke packte und dank Kraftverstärkerservos einhändig auf die Ladefläche ihres Fuhrwerks hob. »Wir müssen zur linken Seite der Straße.«
Schritt für Schritt schob sich Jonan auf die Gaskartusche zu. Er
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