Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Christopher Wren hervorbringen würden, um London wieder aufzubauen, falls die Stadt erneut halb niederbrennt?«, fragte Voisey finster. »Sie wissen ja, hiermit hat man 1675 angefangen.« Er wies auf die gewaltige Rotunde der Kathedrale, in der sie sich befanden. »Nur neun Jahre nach dem großen Brand. Vollendet wurde sie 1711.«
    Pitt sagte nichts. Er konnte sich London nicht ohne St. Paul’s vorstellen.
    Sie standen jetzt vor der zur Erinnerung an den Baumeister der Kathedrale angebrachten Gedenktafel. Voisey las vor: »Lector, si monumentum requiris, circumspice.« Er fuhr fort: »Ich nehme nicht an, dass Sie wissen, was das heißt.« Mit einer Flüsterstimme, in der sich Bewunderung und Bitterkeit mischten, sagte er: »Leser, wenn du ein Denkmal suchst – schau dich um.« Auf seinen Zügen lagen Schmerz und Ehrfurcht; seine Augen leuchteten.
    Mit einem Mal sah Pitt zu seiner Verblüffung einen gänzlich anderen Voisey, einen, der sich danach sehnte, der Geschichte seinen Stempel aufzudrücken, etwas Einzigartiges zu hinterlassen. Er selbst hatte geerbt, würde aber, da er keine Kinder hatte,
an niemanden etwas weitergeben. War es möglich, dass sein Hass zum Teil auf Neid beruhte? Wenn er starb, wäre es so, als habe er nie existiert. Pitt betrachtete das nach oben gewandte Gesicht des Mannes und erkannte darauf einige Augenblicke lang eine unverhüllte Sehnsucht.
    Im Bewusstsein, damit tief in dessen Privatsphäre eingedrungen zu sein, sah er rasch beiseite.
    Voisey nahm diese Bewegung wahr. Im selben Augenblick legte sich die Maske wieder auf seine Züge. »Vermutlich haben Sie keine Vorstellung, wer den Sprengsatz gezündet hat?«, fragte er.
    »Vielleicht doch«, gab Pitt zur Antwort. Er konnte Voiseys Hass, der ihm stärker zu sein schien als zuvor, fast körperlich spüren. Niemand sonst befand sich in der Nähe, und das Geräusch von Schritten in der Ferne war so leise, dass es mit der Stille des Hintergrundes verschmolz. Sie waren so gut wie allein. »Der Mann, der für den Fall, dass Magnus Landsborough etwas widerfuhr, die Leitung der Anarchistengruppe übernehmen sollte, heißt Zachary Kydd. Möglicherweise hat er Landsborough auf dem Gewissen.«
    »Sie glauben an eine interne Rivalität?« Die Verachtung auf Voiseys Gesicht war eindeutig.
    Pitt spürte, wie ihm die Zornesader schwoll. »Der Täter muss jemand gewesen sein, der ihn kannte, einer der Anarchisten.«
    »Warum?«, fragte Voisey ungläubig. »Um Scarborough Street in die Luft jagen zu können, brauchte doch niemand den jungen Landsborough aus dem Weg zu räumen!«
    »Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Pitt.
    »Warum zum Teufel sollte das nötig gewesen sein? Wäre ihm Landsborough etwa in den Arm gefallen?« Herablassung mischte sich in seine Ungläubigkeit. »Auf welche Weise denn? Indem er die Polizei informierte, damit die mit einem großen Trupp anrückte? Soll das etwa heißen, jemand in der Gruppe hätte der Polizei vertraut?«
    Mit betont übertriebener Geduld sagte Pitt: »Um solche Sprengsätze zu zünden, muss man sehr sorgfältig planen und
braucht neben einer ganzen Menge Dynamit auch Menschen, die bereit sind, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Vielleicht ist Kydd das erst aufgegangen, nachdem er Magnus’ Stelle eingenommen hatte.«
    Voisey wollte dagegen aufbegehren, merkte dann aber, dass Pitt Recht haben konnte, und so gab er rasch nach. »Kydd also«, sagte er. »Was ist sein Motiv? Was will er erreichen?«
    »Ich weiß nicht«, räumte Pitt mit einem schmalen Lächeln ein.
    Ein Schatten trat in Voiseys Augen.
    Pitt wartete.
    »Für Wetron jedenfalls ist der Anschlag in der Scarborough Street Wasser auf seine Mühle«, sagte Voisey. »Nichts könnte seinen Zwecken mehr dienen. Halten Sie das wirklich für Zufall?«
    Obwohl Pitt einen Mantel trug und es in der Kathedrale nicht kalt war, überlief ihn ein Schauder. Am liebsten hätte er sich dieser Schlussfolgerung entzogen, zumindest aber gern einen überzeugenden Grund gefunden, der dagegen sprach, doch fiel ihm keiner ein. »Glauben Sie, dass er dahintersteckt?«, sagte er leise.
    Jetzt war Voisey mit Lächeln an der Reihe. »Ihre Fähigkeit, das Gute im Menschen zu sehen, verblüfft mich immer aufs Neue, Pitt. Trotz allem, was Ihnen und davor Ihrem Vater widerfahren ist, trotz der vielen Mordfälle, die Sie im Laufe der Jahre aufgeklärt haben, und obwohl Sie sich jetzt politischen Fanatikern gegenübersehen, sind Sie nach wie vor von einer erstaunlichen

Weitere Kostenlose Bücher