Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Falls Tellman etwas gegen ihn sagte, würden sie ihn als Verräter ansehen.
Darin zeigte sich Wetrons wahres Genie. Er arbeitete nicht mit verwickelten Intrigen, sondern setzte die Ängste von Schwachen, die Gier von Habsüchtigen und sogar die Aufrichtigkeit von Anständigen gegen andere ein. Wer die Wahrheit liebt, vermutet nicht, dass andere Menschen lügen. Wer nie stiehlt, verdächtigt seine Bekannten nicht, fremdes Eigentum an sich zu bringen. Wer nicht an Verrat denkt, vermutet nicht, dass man ihn hintergeht.
Tellman empfand einen ebenso tiefsitzenden und eiskalten Abscheu wie Pitt, und er verstand sehr gut, warum dieser Wetron so unerbittlich verfolgte. Ganz gleich, was es ihn kostete, auf keinen Fall durfte er zulassen, dass dieser Mann weiter sein Unwesen trieb. Gewiss, er hatte Angst vor dem, was ihm Wetron antun konnte. Doch ohne dessen Intelligenz und Willenskraft auch nur eine Sekunde zu unterschätzen, wurde er in seiner Entschlossenheit nicht wankend.
Am nächsten Morgen suchte Tellman gleich als Erstes Jones im Gefängnis auf. Besitz und Weitergabe von Falschgeld galten, vorausgesetzt, sie ließen sich beweisen, als schwere Straftat. Letzteres aber war nicht immer einfach.
»Was woll’n Se?«, knurrte Jones übellaunig, als die Zellentür hinter Tellman geschlossen wurde. So aufgebracht er Tellman gegenüber war, wollte er es sich nicht mit einem Polizeibeamten verderben, solange er nicht genau wusste, wie sich die Dinge weiterentwickelten.
Tellman musterte ihn von Kopf bis Fuß. Ohne den weiten Mantel wirkte der Mann mit seiner schmalen Gestalt und dem Ansatz eines Bierbauchs deutlich weniger imposant, doch lag auf seinem harten, finsteren Gesicht der Ausdruck von Heimtücke.
Er mochte Grovers Werkzeug sein, war aber alles andere als dumm oder willenlos.
Zwar bemühte sich Tellman, grundsätzlich Pitts Gelassenheit nachzuahmen, doch hielt er es angesichts seines großen Grimms für besser, sich verdrießlich zu geben, wie das seiner Natur entsprach. »Etwas, was Ihnen gut tun würde und mir auch«, gab er zur Antwort.
»Ach ja? Ich glaub nich, dass Se gekomm’n sind, um mir was Gutes zu tun«, sagte Jones in sarkastischem Ton. Trotz seiner Herkunft aus Wales lag in seiner Stimme nichts von der sprichwörtlichen Musikalität der Waliser.
»Sie sitzen ganz schön in der Tinte«, sagte Tellman. »Sich mit einem gefälschten Fünf-Pfund-Schein erwischen zu lassen ist ziemlich übel.«
»Das is kein Geldschein«, widersprach Jones. »Das is Spielgeld – ganz harmlos. Se ham sich geirrt. Ihr Polizist’n irrt Euch dauernd.«
»Es ist kein Spielgeld«, gab Tellman zurück. »Wer sich nicht gut auskennt, hält den Schein für echt. Nur das Papier stimmt nicht.«
Jones sah bekümmert drein. »Und woher sollte ich das wiss’n, falls das stimmt? Man hat mich reingelegt! Se müsst’n Mitleid mit mir ham. Man hat mich bestohl’n.«
Betont unschuldig fragte Tellman: »Was hat man Ihnen gestohlen, Mr Jones?«
Empört stieß dieser hervor: »Natürlich ’nen Fünfer. Se ham’s geseh’n! Ihr Kollege hat ’n mir weggenomm’n. Ich war sicher, dass er echt war. Ich bin ’n Opfer!«
»Sieht ganz so aus«, gab ihm Tellman Recht. »Ich frage mich nur, wessen Opfer. Wissen Sie, woher Sie den Schein haben? Vielleicht sollte ich mich da mal näher umsehen.«
»Tun Se das! Unbedingt!«, stimmte Jones zu. »Der Halunke von Wirt im Triple Plea ! Da hab ich den Schein gekriegt, kurz bevor Se mich hochgenomm’n ham. Ich hatte keine Zeit, mir den genau anzuseh’n, sons’ hätt’ ich das gleich gemerkt.«
»Und dann hätten Sie uns den Schein gebracht«, ging Tellman darauf ein. »Damit wir uns den Wirt hätten vornehmen und feststellen können, woher er ihn hatte und ob er wusste, dass er gefälscht war.«
Jones verzog gequält das Gesicht. »Sag’n Se doch nich immer ›gefälscht‹, Mr Tellman. Das is nich schön. Ich hab schon gehört, dass man Leute desweg’n gehängt hat.«
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Tellman. »So schnell geht das heutzutage nicht mehr. Wir hängen meistens nur noch Mörder. Oder ist in dem Zusammenhang jemand umgebracht worden? Dann droht natürlich der Galgen.«
»Natürlich nich!«, stieß Jones hitzig hervor. »Ich hatte den verdammt’n Schein noch nich mal ’ne Stunde.«
»Und bekommen haben Sie ihn vom Wirt im Triple Plea .«
»Ja.«
»Können Sie das beweisen?«
»Nu …« Mit einem Mal sah Jones eine weit offene Falle vor sich.
»Wofür hat er Sie
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