Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
verliehen, doch wie die Dinge lagen, würde sie dieser Luxus zu teuer zu stehen kommen. Daher musste sie das Spiel wohl oder übel so spielen, wie ihr die Karten zugeteilt wurden.
»Das würde man in der Tat«, gab sie zur Antwort, als hätte sie weder etwas von der Spannung mitbekommen, die zwischen den Anwesenden herrschte, noch gesehen, dass Denoon die Zornesader schwoll und in Enid eine ihr gänzlich unverständliche Wut aufzusteigen begann. Das verwirrte sie am meisten. Sie sah Cordelia
in die Augen. »Ich bin für Dienstagabend bei Lady Albemerle zu einer Abendgesellschaft eingeladen. Mir ist bewusst, dass Sie nicht gut dort hingehen können, weil Sie in Trauer sind.« Damit schmeichelte sie Cordelias Eitelkeit. Noch vor einem Monat hätte sie sich dazu nicht herabgelassen. Beiden war klar, dass Cordelia mit einer solchen Einladung unter keinen Umständen rechnen konnte. »Meinen Sie, es könnte Ihnen helfen, wenn ich annähme? Natürlich ist die Einladung schon vor längerer Zeit gekommen, und ich hatte ursprünglich abgesagt, doch kann ich leicht eine Begründung dafür finden, das zurückzunehmen. Sicher wird mir Lady Albemerle das nicht übel nehmen, denn wir sind seit vielen Jahren gut miteinander bekannt. Sie wird mir zwar nicht glauben, aber das macht nichts.«
»Meinen Sie?«, sagte Denoon kalt. »Ist das nicht ein wenig anmaßend? Ich jedenfalls wäre beleidigt, wenn Sie eine solche Einladung erst ablehnten und dann im letzten Augenblick, weil es Ihnen gerade so passt, darum bitten würden, doch kommen zu dürfen. Wir können es uns nicht leisten, Lady Albemerle zu kränken.«
Enid, der seine Worte sichtlich peinlich waren, wurde über und über rot.
Mit leicht gehobenen Brauen sah ihn Vespasia an. »Ach wirklich? Dann ist es vielleicht ganz gut, dass der Kontakt nicht sonderlich eng ist zwischen Ihnen und mir, von dem zwischen Ihnen und Lady Albemerle ganz zu schweigen.«
Enid drehte sich um und nieste – zumindest klang es so.
Denoon war aufgebracht. »Ich glaube nicht, dass Sie den Ernst der Lage richtig einschätzen, Lady Vespasia! Hier geht es nicht um ein Gesellschaftsspiel in höheren Kreisen, sondern um Menschenleben. Immerhin sind in der Scarborough Street mehr als sechs Personen umgekommen.«
»Genau gesagt acht«, erwiderte sie. »Wie schön, dass Sie das Thema ansprechen, Mr Denoon. Natürlich sind noch weit mehr Menschen obdachlos. Ich glaube, die neuesten Meldungen sprechen von siebenundsechzig, ohne die dreiundzwanzig aus der
Myrdle Street zu zählen. Daher habe ich einen Hilfsfonds ins Leben gerufen, von dessen Geldern ein großer Teil bereits ausgegeben wurde, um den Leuten ein Dach über dem Kopf zu verschaffen und sie zu ernähren, bis sie wieder selbst für sich sorgen können. Sicher ist es auch Ihr Wunsch, dazu beizutragen, sowohl persönlich als auch mithilfe Ihrer Zeitung.« Sie stellte das als Aussage hin, ohne den geringsten Frageton.
Denoon hielt den Atem an.
»Selbstverständlich möchten wir das«, sagte Enid, bevor er den Mund auftun konnte. »Ich wünsche, ich wäre selbst auf den Gedanken gekommen. Gleich morgen früh werde ich den Lakaien mit meinem Beitrag schicken.«
»Danke«, sagte Vespasia aufrichtig. Hätten die Dinge früher anders gelegen, wäre sie mit Enid wohl gut ausgekommen. Sie hatte immer die Ansicht vertreten, Enid stehe ihr ablehnend gegenüber und bemerke ihre Einsamkeit nicht. Jetzt begriff sie, wie töricht diese Annahme gewesen war, wie selbstsüchtig ihre Überzeugung, sie sei allein, weil ihre Träume zuschanden geworden waren und das Leben ihr sowohl körperlich als auch auf der Gefühlsebene Grenzen zu setzen begann. Enid musste etwas Ähnliches erlebt haben, wenn nicht gar Schlimmeres, und befand sich nach wie vor in dieser Situation. Auch wenn sie sich daran gewöhnt haben mochte, gleichsam eine Gefangene zu sein, dürfte sie das dennoch schmerzen.
Vespasia merkte, dass sie Enid zulächelte, weil wegen der Worte, die sie gewechselt hatten, ein Einvernehmen zwischen ihnen bestand, zu dem Denoon keinen Zugang hatte. Doch obwohl er kaum begriffen haben dürfte, was ihm da verwehrt wurde, brach er sogleich in dies Einvernehmen ein, da es ihn störte, dass er davon ausgeschlossen war.
»Was werden Sie Lord Albemerle sagen, sofern Sie Gelegenheit haben sollten, mit ihm zu sprechen? Ich hoffe, Sie werden ihn nicht ebenfalls um Geld bitten?«
Sheridan stand auf. »Edward, du benimmst dich unmöglich. Was du in deinen eigenen vier Wänden
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