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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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müssen, um es doch zu tun. Sie dabei zu beobachten wird sicher sehr amüsant sein.« Sie sagte das leichthin, doch lag auf ihrem Gesicht nicht die geringste Freude. Während sie mit ihren Worten bei Cordelia war, galten ihre Gedanken Sheridan, das war Charlotte klar. »Möchtest du zum Mittagessen bleiben?«, fragte sie Charlotte.
    »Danke, sehr gern«, nahm sie die Einladung ohne das geringste Zögern an.

    Vespasia trug ein weich fallendes Kleid in Tönen von Grau und Dunkellila, Farben, die an den Saum eines späten Abendhimmels erinnerten. Es stand ihr ausnehmend gut. Das war ihr selbstverständlich bewusst, doch hatte das keinesfalls etwas mit Eitelkeit zu tun. Je schwieriger die vor ihr liegende Aufgabe war, desto mehr kam es darauf an, so gut wie möglich auszusehen.
    Obwohl sie unangekündigt kam, ließ sie der Lakai der Familie Landsborough sogleich ein. Zweifellos hatte er entsprechende Anweisungen. Für Höflichkeitsbesuche war es ein wenig zu
früh am Nachmittag, doch gute Bekannte durften um diese Zeit kommen.
    Man hatte sich kurz zuvor vom Esstisch erhoben, und jetzt befanden sich alle im kleinen Salon. Es überraschte Vespasia nicht, auch Enid und Denoon vorzufinden. Angesichts der Umstände hatte sie mit deren Anwesenheit sogar mehr oder weniger gerechnet. Sheridan Landsborough stand zu ihrer Begrüßung auf; die anderen murmelten höfliche Worte.
    Zwar erkundigte er sich voll Wärme nach ihrem Ergehen, doch sah sie auf seinen Zügen Besorgnis. Nach wie vor wirkte er abgespannt, und ein Blick auf sein Gesicht ließ sie vermuten, dass er nur wenig schlief. Es war eindeutig, dass er von Cordelias Einladung an sie nichts wusste.
    »Recht gut, danke«, sagte sie und nahm sich die Freiheit, ihm mit ihren Blicken zu zeigen, dass sie sich Sorgen um ihn machte. Ihn zu fragen, wie es ihm gehe, hätte bedeutet, dass sie seiner offensichtlichen Qual gegenüber blind war.
    Denoon erhob sich nur so weit von seinem Sitz, wie es die Höflichkeit verlangte.
    Cordelia kam auf sie zu, das Kinn hoch emporgereckt. »Wie schön, dass Sie gekommen sind«, sagte sie. Der Versuch, Wärme in ihre Stimme zu legen, misslang. Sie war untadelig in schwarze Seide gekleidet und trug so schlichte Gagat-Perlen, dass man zweimal hinsehen musste, um sie zu bemerken. Ihr an den Schläfen von auffälligen weißen Strähnen durchzogenes Haar war bestens frisiert, doch ihre Haut wirkte wie abgeschabtes schmutziges Papier, an dem jemand an den falschen Stellen herumgezerrt hatte. »Ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«
    Vespasia lächelte. Ihr war klar, dass sie das im Hinblick auf Denoon gesagt hatte, dessen angewiderter Blick angesichts Vespasias erneuten Auftauchens außergewöhnlich taktlos wirkte, wenn nicht gar ausgesprochen ungezogen.
    »Gern«, sagte Vespasia freundlich. Sie neigte den Kopf zu Enid, die mit einem angedeuteten Lächeln darauf antwortete, und nahm dann in dem schweren Sessel Platz, auf den Cordelia
wies, wobei sie ihre Röcke mit natürlicher Anmut ordnete. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Wir brauchen jede Hilfe, die wir finden können«, kam Cordelia ohne Umschweife auf ihr Anliegen zu sprechen. »Auf Lord Albemerle würde man mit großem Respekt hören.«
    Sheridan, dem ein wenig unbehaglich zu Mute zu sein schien, setzte sich ein bisschen anders in seinem Sessel hin.
    Cordelia verzog missbilligend das Gesicht, ohne aber zu ihm hinzusehen. Vespasia vermutete, dass sie ihn bereits gebeten hatte, das ungewöhnliche Ausmaß an Achtung, das ihm seine Aufrichtigkeit und sein Charme im Laufe der Jahre eingetragen hatten, zu nutzen und im Oberhaus seine Stimme zu erheben. Sofern er infolge seines tragischen Verlustes jetzt von den liberalen Ansichten abwich, die er bisher stets vertreten hatte, konnte er Dutzende Mitglieder des Oberhauses auf seine Seite ziehen, wenn nicht gar die Mehrheit.
    Doch es war klar, dass er das nie und nimmer tun würde. Dazu brauchte man weder sein halb abgewandtes Gesicht zu sehen noch den leichten Schauer des Widerwillens, der ihn überlief, noch Cordelias nur mühsam verborgenen Zorn, die ihn gewiss für feige hielt und deswegen verachtete. Er blieb seinen Überzeugungen treu, ohne auf das zu achten, was ihm andere einreden wollten. Kein noch so schwerer Verlust und keine noch so große Empörung über Ungerechtigkeiten welcher Art auch immer brachten ihn dazu, sich für etwas auszusprechen, was ihm nicht richtig erschien.
    Vespasia hätte gern ihren eigenen Empfindungen Worte

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