Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
nicht gefasst zu werden.«
»Das ist mir klar«, sagte Narraway schroff. Er hielt den Blick auf das Fenster gerichtet, sodass Pitt sein Gesicht im Profil sah. »Wir müssen alle verfügbaren Mittel einsetzen. Weder können wir es uns erlauben, Menschen zu schützen, die uns sympathisch sind, noch dürfen wir zögern, solche zu benutzen, die wir nicht ausstehen können.«
»Ich weiß«, bestätigte Pitt. »Wenn mir eine Möglichkeit einfiele, wie sich das bewerkstelligen lässt, würde ich sie auch nutzen.«
»Wer hat Magnus Landsborough umgebracht, und was war der Grund dafür?«, fragte Narraway.
»Nach allem, was ich über den jungen Landsborough gehört habe, war er ein Idealist und alles andere als tückisch, aber auch kein Dummkopf. Wer immer der Täter war, er muss die Absichten der Anarchisten genau gekannt haben, denn er hat sie in der Long Spoon Lane erwartet«, antwortete Pitt.
»Ganz unübersehbar«, sagte Narraway erbittert. »Seien Sie vorsichtig, Pitt. Sie kennen doch das Sprichwort: ›Wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben.‹ Bedienen Sie sich Voiseys, aber trauen Sie ihm nicht – in keiner Hinsicht.«
Pitt dachte an das Beweismaterial gegen Voiseys Schwester. Würde es ausreichen? War die Bruderliebe größer als das Bedürfnis des Mannes, wieder Macht in die Hände zu bekommen und sich an denen zu rächen, die sie ihm genommen hatten?
Pitt hatte schon früher den Fehler begangen, anzunehmen, Menschen seien bei ihrem Handeln stets darauf bedacht, sich nicht selbst zu schaden. Das aber war keineswegs der Fall. Leidenschaften, Angst und Wut waren der Antrieb für so manche törichte und selbstzerstörerische Tat, und wer so handelte, erkannte das gewöhnlich erst, wenn es zu spät war.
»Pitt«, unterbrach Narraway seine Gedanken.
»Ja, Sir. Ich werde Voisey gegenüber so vorsichtig sein, wie ich kann.«
»Gut. Jetzt machen Sie weiter. Und künftig keine Wasserspiele mehr. Ich kann es mir nicht leisten, dass Sie eine Lungenentzündung bekommen.«
»Danke für Ihre Besorgnis«, sagte Pitt sarkastisch und verließ den Raum, bevor Narraway antworten konnte.
Pitt kam an jenem Abend früh nach Hause, und obwohl er über eine Stunde lang darüber nachgedacht hatte, wie er das Thema Voisey Charlotte gegenüber ansprechen und wie viel er über Narraways Besuch sagen sollte, war er immer noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen, als er in die Küche trat.
Ihr breites, unschuldiges Lächeln zeigte ihm sofort ihr Schuldbewusstsein. Sie wusste genau, was sie getan hatte, und dachte nicht im Traum daran, es ihm zu sagen. Damit war die Sache erst einmal erledigt. Zumindest vorerst würde er sich nicht dazu äußern, weil die Situation ein neues Nachdenken erforderte, bevor er unter den geänderten Umständen etwas entscheiden konnte.
Sie hielt ihm einen Brief hin. »Das hat ein Bote vor etwa einer Stunde gebracht. Von Charles Voisey.«
»Woher weißt du das?«, fragte er und nahm den Brief entgegen.
Sie riss die Augen übertrieben weit auf. »Weil er das gesagt hat! Du glaubst doch nicht etwa, dass ich den Brief aufgemacht habe?«
»Entschuldigung«, sagte er und öffnete ihn. Er sah Narraways Gesicht mit dem Ausdruck unverhüllter Besorgnis darauf deutlich
vor sich. »Natürlich nicht.« Er wusste, dass sie ihm zusah, während er las.
Pitt,
ich hoffe, das Bad ist Ihnen nicht übermäßig schlecht bekommen. Ich weiß jetzt, wo der Beweis ist, den wir brauchen. Er befindet sich im Besitz des Mannes, um den es geht, doch müssen wir ihn sicherstellen, denn es hat keinen Sinn, sich nur den Hund vorzunehmen und seinen Herrn frei herumlaufen zu lassen. Er würde sozusagen ohne Schwierigkeiten wieder einen Hund finden.
Natürlich ist die Sache mit Gefahren verbunden, vor allem für den einzigen Mann, der in der Lage ist, das Haus des Hundebesitzers zu durchsuchen! Aber ich sehe keine andere Wahl.
Ich erwarte Ihre Antwort.
Voisey
Charlotte mochte die Absicht gehabt haben, sich zu beherrschen, doch ging das augenscheinlich über ihre Kräfte. »Worum geht es?«, fragte sie mit Schärfe in der Stimme.
»Ich muss zu Tellman«, sagte er, ging zum Herd, zog mit dem Schürhaken den mittleren Ring auf und ließ den Brief auf die brennenden Kohlen fallen. »Voisey sagt, es gibt in der Geschichte mit dem Bombenanschlag Beweise für eine unmittelbare Verbindung zwischen Wetron und Simbister. Wir müssen sie herbeischaffen.«
»Das wird sehr gefährlich sein«, sagte
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