Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
entfernt wird. Es sieht ganz so aus, als sei er korrupt. Mr Pitt hat das eine oder andere fallen lassen, und das Übrige kann ich mir zusammenreimen. Sir Charles beabsichtigt auch, Sie aus dem Weg zu räumen, Sir. Danach will er einen seiner Männer hier einsetzen und die Sache auch auf die Bow Street ausdehnen. Das erpresste Geld soll in seine eigene Tasche fließen. Ich bin nicht bereit zuzulassen, dass das in dem Revier geschieht, in dem ich Dienst tue, Sir.«
Er holte tief Luft. »Ich will nicht behaupten, dass ich Sie so gut leiden kann wie Mr Pitt, aber ich will nicht, dass man Sie für etwas über die Klinge springen lässt, womit Sie nichts zu tun haben. So etwas gehört sich nicht. Auf keinen Fall möchte ich, dass ein Polizeibeamter von Sir Charles Voiseys Gnaden Leiter dieser Wache wird.«
»So, so«, sagte Wetron leise. »Und wofür glaubt mich Sir Charles Voisey ›über die Klinge springen‹ lassen zu können?«
»Das weiß ich nicht, Sir.« Jetzt zitterte Tellman, und er spürte einen dicken Kloß im Hals. »Es soll mit Erpressung und mit dem Mord an einem jungen Mann zu tun haben. Er behauptet, dass er ein Dokument hat, mit dem er diese Vorwürfe beweisen kann, die er Ihnen anhängen will.«
Das Schweigen im Raum wurde immer lastender, schien alles in sich aufzusaugen, sodass Tellman den Eindruck hatte, keine Luft mehr zu bekommen.
Wetron sah ihn an. Er bemühte sich, seine Wut zu beherrschen, versuchte, sich zum kühlen Nachdenken zu zwingen. Seine Reaktion auf Tellmans Worte machte deutlich, dass diese Vorwürfe auf Wahrheit beruhten.
Tellman spürte, wie sich sein Inneres immer mehr zusammenkrampfte.
»Das will er also tun?«, sagte Wetron ganz gelassen, aber mit rauer Stimme.
Stockend und seine Worte dehnend stieß Tellman hervor: »Ja-a, Sir. I-ich glaube, e-er hat das von langer Hand geplant. E-er ist schrecklich rachsüchtig. Deshalb hat er mit Mr Pitt zusammen so sehr gegen das Gesetz intrigiert – e-er wollte ihn in eine Falle locken.«
»Aber Sie haben doch gesagt, dass Pitt entkommen ist«, hielt ihm Wetron vor.
Tellman stieß die Luft aus. »Schon, Sir. Aber das war reines Glück. Jemand ist auf dem Fluss vorbeigekommen und hat ihn gerettet.«
»Ein Fehler«, sagte Wetron befriedigt. »Man sollte immer alles selber machen. Nun, wenn Sir Charles meine Position und die Früchte meiner Arbeit will … er kann sie haben! Vorzüglich, Tellman. Wirklich vorzüglich. Ich werde zusehen, dass er sie bekommt – und alles Negative, was damit zusammenhängt.«
Er sah zur Uhr auf dem Kaminsims, griff hastig zum Telefon und führte ein kurzes Gespräch. Dann wandte er sich wieder Tellman zu: »Er ist tatsächlich noch zu Hause. Ausgezeichnet. Genau da, wo er auch das Beweismaterial hat. Ich gehe hin und nehme ihn fest.«
Seine Stimme zitterte ein wenig vor plötzlicher Erregung. »Sagten Sie nicht, er hat Pitt zu ermorden versucht? Bei einem so gewalttätigen Menschen sollte ich dann wohl besser eine Schusswaffe mitnehmen. Womöglich leistet er Widerstand.« Das Lächeln auf seinem Gesicht zeigte eine wilde Freude. »Pitt ist ein Dummkopf, aber dass er bei dem Abenteuer gestern Abend entkommen ist, kann sich unter Umständen als nützlich erweisen. Bestimmt lügt er nicht. Wenn man ihn befragt, wird er sagen, dass Voisey versucht hat, ihn zu töten.« Er trat zu einem Schrank, nahm einen Schlüssel von der Uhrkette, schloss auf, nahm eine Pistole heraus, lud sie und steckte sie ein.
»Sie brauche ich nicht, Tellman«, sagte er und straffte sich. »Das ist eine Angelegenheit zwischen ihm und mir. Sie haben gute Arbeit geleistet.« Hoch aufgerichtet ging er an ihm vorüber zur Tür hinaus. Die Pistole in seiner Jackett-Tasche war nicht zu sehen.
Tellman wartete, bis er fort war, dann eilte er die Treppe hinab und zur Tür hinaus. Pitt wartete in einer Seitengasse einige hundert Meter entfernt. Sie mussten Wetron folgen und ihn genau im richtigen Augenblick packen, bevor er Voisey ermorden konnte. Dann hätten sie einen wie den anderen und obendrein alles Beweismaterial. In ihrem gegenseitigen Hass würden die beiden gegeneinander aussagen.
Er eilte die Straße entlang. Seine Schritte verhallten auf dem Pflaster.
KAPITEL 12
Unruhig auf und ab schreitend wartete Pitt in der Gasse. Von Zeit zu Zeit blieb er eine Weile stehen, spähte um die Ecke und ging dann wieder rastlos hin und her. Trotz der dichten Menschenmenge sah er Tellman schon, als dieser noch zwanzig Meter entfernt war, weil
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