Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
meine Männer
es gesichtet haben. Natürlich hat die Angelegenheit mit dem Tod von Sir Charles Vorrang.«
Einer der umstehenden Abgeordneten nickte. »Unbedingt. Grauenvolle Sache, das. Bemerkenswertes Vorgehen, wenn ich das sagen darf. Beachtlicher persönlicher Mut, sich ihm allein zu stellen. Gut, dass hier kein ganzer Trupp von Polizisten in Uniform herumtrampelt. Furchtbarer Skandal. Grässlich. Wer hätte das gedacht?«
»Jahrelange Erfahrung«, sagte Wetron mit gespielter Bescheidenheit. »Allerdings muss ich zugeben, dass es mich ebenfalls entsetzt hat. Es handelt sich hier um … ein Verbrechen von einer unvorstellbaren Größenordnung. Eine Tragödie für das ganze Land. Ich …« Er erschauerte theatralisch. »Sicher werden Sie verstehen, dass ich im Augenblick nichts weiter sagen möchte. Die ganze Sache ist auch mir sehr nahe gegangen.« Er sah zur geschlossenen Tür von Voiseys Büro hinüber.
»Selbstverständlich«, stimmte der Abgeordnete zu. Er wandte sich an die übrigen Umstehenden und sagte: »Meine Herren, da wir ohnehin keine Hilfe leisten können, sollten wir uns nicht länger hier aufhalten, sondern andere ihre traurige Pflicht tun lassen. Kehren wir an unsere Arbeit zurück.« Er machte eine Handbewegung, und die Menschenmenge löste sich auf.
Pitt blieb noch ein wenig stehen. Er empfand einen sonderbaren Widerwillen, den Raum zu betreten und sich Voiseys Leiche anzusehen. Gehörte das zu seinen Aufgaben?
Wetron fasste seinen Arm und hielt ihn zurück. »Das ist Sache der Polizei«, sagte er mit Nachdruck. »Sie sind beim Staatsschutz, nicht wahr?«
Im nächsten Augenblick war Pitt entschlossen. »Habe ich Sie falsch verstanden? Hatten Sie nicht gesagt, dass Sir Charles in den Anschlag in der Scarborough Street verwickelt war und mit dem von den kleinen Leuten im Revier der Cannon Street erpressten Geld die Anarchisten finanziert?«
Einen Moment lang schien Wetron unsicher. Offenkundig wusste er nicht, was er darauf sagen sollte. Zumindest einer der Abgeordneten war noch in Hörweite.
»Damit fällt die Sache in unseren Aufgabenbereich«, sagte Pitt mit bitterem Lächeln. »Für Anarchisten und Sprengstoffanschläge ist der Staatsschutz zuständig. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, weil Sie dem Mann auf die Schliche gekommen sind … und natürlich auch, weil Sie versucht haben, uns Amtshilfe zu leisten und ihn festzunehmen.«
Wetron gewann sein Gleichgewicht wieder, jedenfalls nach außen. »Wirklich bedauerlich, dass ich ihn Ihnen nicht lebend übergeben konnte«, sagte er scheinbar betrübt. »Dann hätte er vielleicht gegen andere ausgesagt. Das kann er jetzt natürlich nicht mehr.«
»Zweifellos ist auch ihm der Gedanke gekommen«, sagte Pitt zweideutig. Er löste seinen Arm aus Wetrons festem Griff, öffnete die Tür und überließ Tellman die Entscheidung, ob er ihm folgen wollte oder nicht. Im Stillen hoffte er, er werde es nicht tun.
Er trat ein und schloss die Tür hinter sich.
Der Raum lag still in der Morgensonne. Da die Fenster geschlossen waren und das Zimmer in einem der höheren Stockwerke lag, drang weder Verkehrslärm herein, noch hörte man Stimmen von den Uferwegen entlang der Themse und auch nicht von den Korridoren.
Alles war geradezu vorbildlich aufgeräumt. Es gab keinerlei Hinweise auf einen Kampf, als habe die Auseinandersetzung ausschließlich mit Worten und nicht auf körperlicher Ebene stattgefunden.
Charles Voisey lag zwischen dem Schreibtisch und einem der Fenster auf dem Teppich, halb auf der Seite, eine Hand gekrümmt. In der Stirn befand sich ein Einschussloch. Es sah aus wie ein drittes Auge. Auf seinem Gesicht war keine Überraschung zu erkennen, wohl aber der Ausdruck von Ärger. Offenkundig hatte er seinen Fehler begriffen und vorausgesehen, was geschehen würde.
Pitt sah auf ihn hinab und überlegte, ob Voisey gewusst hatte, dass sein Bemühen vom Vorabend fehlgeschlagen war und Pitt noch lebte. Ob es so etwas wie eine Möglichkeit der Erkenntnis
nach dem Tode gab, die es ihm gestattete, das jetzt zu erfahren? Oder kümmerte sich die Seele, wie auch immer sie beschaffen sein mochte, lediglich um das, was in der Zukunft lag?
Ob Mrs Cavendish vor Kummer außer sich sein würde? Wer konnte ihr die traurige Mitteilung machen? Angehörige, Bekannte? In keinem der Gespräche mit Pitt hatte sich Voisey je über Freunde oder private Bekanntschaften geäußert. Wohl gab es Verbündete, Menschen, über die er Macht hatte, aber wohl
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