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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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oder verhindern, was beide inzwischen für unvermeidlich hielten.
    Endlich kamen sie vor dem Parlamentsgebäude an. Pitt gab dem Kutscher fast den ganzen Rest seines Geldes und forderte ihn auf, dem Pferd dafür etwas Gutes zukommen zu lassen, dann eilte er Tellman nach, der bereits zwanzig Meter Vorsprung hatte.
    Nachdem sie sich ausgewiesen hatten, wurden sie eingelassen und zu Voiseys Büro geführt. Kaum waren sie um die Ecke des langen Korridors gebogen, als sie sahen, dass sie zu spät kamen.
Eine dichte Traube von Menschen mit bleichen und besorgten Gesichtern, die mit gesenkter Stimme sprachen, versperrte ihnen den Weg.
    »Was gibt es?«, fragte Pitt, als er sie erreicht hatte. Er fürchtete, die Antwort bereits zu wissen.
    »Fürchterlich«, sagte einer der Sekretäre, ein untadelig gekleideter bleicher junger Mann. Er zitterte so sehr, dass die Papiere, die er in den Händen hielt, ein raschelndes Geräusch von sich gaben. »Ganz und gar entsetzlich.«
    »Was denn?«, fragte Pitt.
    »Wissen Sie es nicht? Man hat Sir Charles Voisey erschossen. Einer von der Polizei ist da. Ein Mann aus der Bow Street. Ein Abgeordneter wird im Parlamentsgebäude erschossen! Wo soll das noch hinführen?«
    Pitt drängte sich durch und schob Menschen beiseite, bis er die Tür erreichte. Dort stand Wetron einen Meter von ihm entfernt, bleich und allem Anschein nach tief erschüttert. Doch als sich ihre Blicke kreuzten, sah Pitt in den Augen des Mannes den Triumph, und ihm war klar, dass die Auseinandersetzung verloren war.
    Wetron ließ sich nichts anmerken. Für die Umstehenden spielte er die Rolle eines Mannes, den ein widerwärtiges Ereignis in tiefster Seele erschüttert hatte.
    »Ah, Oberinspektor Pitt«, sagte er, als habe dieser seinen einstigen Rang noch. »Wie gut, dass Sie da sind. Schreckliche Sache. Ich fürchte, es gibt unwiderlegliche Beweise für Sir Charles’ Schuld. Tragisch. Ich wollte ihn deswegen befragen, hoffte gegen alle Vernunft, dass er eine andere Erklärung hatte. Das aber war nicht der Fall. Er hat mich mit einem Brieföffner angegriffen, deutlicher Hinweis auf sein Schuldbewusstsein.« Es klang, als müsse er sich zu diesen Worten zwingen, als empfinde er Entsetzen und Bedauern. In seinen Augen aber lagen Siegesgewissheit und die Befriedigung, seinen Machthunger gestillt zu haben. Die Umstehenden konnten das nicht erkennen, wohl aber Pitt.
    »Beweise wofür, Hauptkommissar Wetron?«, fragte Pitt unschuldig, als sei er völlig ahnungslos.
    Ohne seinen Ausdruck im Geringsten zu verändern, sagte Wetron: »Für Korruption, Mr Pitt. Sie scheint ein unglaubliches Ausmaß erreicht zu haben und beschränkt sich keineswegs auf aktive Polizeibeamte. Ich bedaure unendlich, sagen zu müssen, dass Sir Charles mit Oberinspektor Simbister aus der Cannon Street gemeinsame Sache gemacht hat. Noch schlimmer aber ist, dass unwiderlegliche Beweise für seine Verbindung zu den Anarchisten vorliegen, die den entsetzlichen Sprengstoffanschlag in der Scarborough Street verübt haben, denn das verwendete Dynamit ist über seine Kontakte beschafft worden. Es wäre mir lieber, wenn ich etwas anderes sagen könnte.« Im Hinblick auf die große Zahl der Zuschauer versagte er sich ein triumphierendes Lächeln, aber die Befriedigung über den Sieg leuchtete ihm aus den Augen.
    Pitt spürte den Geschmack der Niederlage bitter wie Galle, doch fiel ihm nichts ein, womit er hätte zurückschlagen können. Es war sinnlos, Wetron zu fragen, ob Voisey irgendetwas davon gestanden hatte. Er würde einfach Ja sagen, und das Bewusstsein, dass es sich nicht so verhielt, würde Pitt nichts nützen.
    »Ich werde Mr Narraway Bericht erstatten«, brachte er heraus. »Es wird ihn freuen, dass es im Fall des Anschlags in der Scarborough Street Beweise gibt.« Würde Wetron die Männer ans Messer liefern, die seine Befehle ausgeführt hatten? Möglich war es. Sofern sie weder wussten, woher die Befehle gekommen waren, noch Beweise dafür vorlegen konnten, dass sie auf Anweisung Wetrons gehandelt hatten, gab es für ihn nichts zu verlieren, wohl aber unter Umständen viel zu gewinnen. Die Vorstellung, dass sich Wetron in ungerechtfertigter Weise mit diesem Erfolg schmücken würde, wie auch das Bewusstsein seiner eigenen Hilflosigkeit machten Pitt wütend, doch gab es für ihn keinerlei Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen.
    »Selbstverständlich«, erklärte Wetron leicht von oben herab. »Ich werde ihm das Material gern übergeben, sobald

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