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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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drin gibt’s, was Se such’n«, sagte er und nickte in Richtung Tür.
    »Ich will kein Bier«, sagte Pitt und blieb stehen, wo er war.
    Langsam richtete sich der Mann auf. »Wer sind Se?«, fragte er.
Er beäugte Pitt argwöhnisch von Kopf bis Fuß, wobei er die Augen zusammenkniff. »Ich hab Se hier noch nie geseh’n.« Es klang fast wie eine Beschuldigung.
    Pitt beschloss, zumindest teilweise die Wahrheit zu sagen. »Ich war noch nicht oft hier. Meistens arbeite ich im Revier Bow Street.«
    Der Mann stieß einen lästerlichen Fluch aus, wobei in seiner Stimme ebenso viel Verzweiflung wie Wut mitschwang.
    Pitt wartete. Etwas war faul, doch war ihm nicht klar, was.
    Das Gesicht des Mannes war voll Bitterkeit. »Bei mir is Feierab’nd! Ich hab die Woche schon bezahlt. Ich hab nix mehr. Macht mein’ Lad’n ruhig dicht! Nur zu! Dann habt ihr gar nix mehr! Verdammte Schweinehunde!«
    »Ich habe nichts verlangt«, sagte Pitt gedehnt. »Was bringt Sie auf den Gedanken, ich könnte Geld haben wollen?«
    Das Gesicht des Mannes war verzerrt. Verächtlich verzog er die Oberlippe, sodass man seine gelben Zähne sah. »Se steh’n hier rum un versperr’n mir ’n Weg. Se woll’n kein Bier. Halt’n Se mich für dämlich? Das bin ich nich, un ich zahl nix. Macht, was ihr wollt! Ich hab nix mehr.«
    Ein Schwindel erfasste Pitt. Der Mann war überzeugt, er sei gekommen, um weiteres Schutzgeld zu erpressen. Es war also tatsächlich so, wie Carmody gesagt hatte. »Niemand kann mehr geben, als er hat«, gab er dem Wirt Recht. »Das Beste ist, überhaupt nichts zu bezahlen …«
    »Soll ich mir etwa ’n Schädel einschlag’n lass’n?«, stieß der Mann wild hervor. »Un wer hilft mir dann, hä? Etwa de Polente?« Er spie vor Pitt aus, doch ließ sich erkennen, dass er den Tränen der Verzweiflung nahe war. Erstickt kam es aus seiner Kehle: »Hau’n Se ab, ich hab nix für euch! Un’ wenn Se mich umbring’n, ich hab nix! Verschwindet un lasst mich meine Arbeit mach’n!« Er stand mit geballten Fäusten da, die Schultern angespannt, als werde er im nächsten Augenblick die Beherrschung verlieren und wild um sich schlagen, einfach, weil er keine Zukunft für sich sah, nichts hatte außer seinen Fäusten, womit er
für sein Recht kämpfen konnte. Er wirkte verzweifelt genug, um sich ein Ende herbeizuwünschen.
    »Sagen Sie mir, wer das Geld nimmt, und ich …«, setzte Pitt an, begriff dann aber, dass das aussichtslos sein würde. Der Mann sah in ihm den Feind, ganz gleich, wie viel Mühe er sich gab, das zu bestreiten – er kannte keine andere Wahrheit. »Hören Sie …«, begann er erneut.
    Der Mann trat einen Schritt auf ihn zu, den Kopf gesenkt, die Muskeln angespannt, bereit, die Faust gegen ihn zu erheben.
    Pitt wich zurück, wandte sich dann um und ging fort. Er hatte die Sache falsch angefasst und daher nichts erfahren, was ihm nützen konnte. Zwar war der Mann offensichtlich überzeugt, dass seine Quälgeister Polizeibeamte waren, aber Pitt musste mehr wissen: wer kassieren kam und wann. Er musste Beträge erfahren, brauchte Beweise. Er würde die Sache völlig anders angehen und sie sehr viel besser einfädeln müssen.
    Er ging die Bishopsgate entlang und bog an der Ecke der Brushfield Street, wo ein Invalide Schnürsenkel verkaufte, in Richtung des Markts von Spitalfields ab. Drei Frauen stritten sich auf dem Gehweg. Ein kleines Mädchen heulte. Ein von Ruß geschwärzter Kaminkehrerjunge kam mit hängenden Schultern vorüber. Ein halbes Dutzend Straßenkinder spielten auf dem Gehweg mit kleinen Knochen, die sie in die Luft warfen und auffingen. Sicher eine gute Übung für die Fingerfertigkeit künftiger Taschendiebe, die den Leuten rasch und ohne dass sie es merkten die Börse aus der Tasche zu entwenden vermochten.
    Einige der verwahrlosten Häuser, an denen er vorüberkam, hatten früher Seidenkaufleuten, für die inzwischen deutlich schlechtere Zeiten angebrochen waren, als Wohnung, Lager und Ladengeschäft gedient. Ein fliegender Händler schob seinen Karren über die Straße, zahlreiche mit Bauholz und Kohle beladene Wagen strebten den Hafenanlagen entgegen, ein Brauereifuhrwerk rumpelte vorüber.
    Als er das Ten Bells erreichte, trat er ein und bestellte einen
Krug Apfelwein, dessen kräftiger Geschmack den säuerlichen Geruch der Straße wenigstens für einige Augenblicke fortspülte.
    Ihm fiel auf, dass ihn die untersetzte Wirtin unauffällig musterte. Eigentlich war das nicht weiter verwunderlich, da

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