Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Street vor sich geht, muss Grover fragen.«
»Aha. Aus mindestens zwei voneinander unabhängigen Quellen habe ich erfahren, dass Polizeibeamte in Spitalfields Schutzgelder von Gastwirten erpressen«, fuhr Pitt fort. »Ich habe das selbst überprüft, und zwar im Dirty Dick und im Ten Bells . Ein Mann, der dort unter dem Namen Taschen-Jones bekannt ist, kommt jeden Mittwochnachmittag, um das Geld einzutreiben.«
»Sind Sie sicher, dass er der Polizei angehört?«, fragte Tellman mit unglücklichem Gesichtsausdruck.
»Nein. Bisher weiß ich nur, dass die Wirte davon überzeugt sind. Ich muss unbedingt feststellen, was es damit auf sich hat. Dazu möchte ich, dass der Mann festgenommen wird, damit ich an seine Stelle treten kann.«
»Wozu das? Natürlich könnte zwischen ihm und Grover eine Beziehung bestehen«, räumte Tellman ein, »aber die müsste erst einmal bewiesen werden. Bisher wissen Sie ja wohl nicht, für wen er arbeitet. Und freiwillig wird er es Ihnen bestimmt nicht sagen.«
»Nein«, gab ihm Pitt Recht. »Aber sofern ich das Geld habe, das er eintreiben sollte, wird jemand alle Hebel in Bewegung setzen, um mich zu finden.«
Tellman zuckte leicht zusammen und sagte mit finsterer Miene: »Und zwar höchstwahrscheinlich mit einem Messer in der Hand.«
»In erster Linie haben sie es auf das Geld abgesehen, und außerdem werden sie von mir wissen wollen, ob ich auf eigene Rechnung arbeite.« Trotz dieser zuversichtlichen Worte war sich Pitt der Gefahr durchaus bewusst und hätte seine Erkundigungen liebend gern auf andere Weise eingezogen, wenn ihm eine brauchbare Alternative eingefallen wäre.
Gerade als Tellman Luft holte, um etwas dagegen zu sagen, wurde an seine Tür geklopft.
»Herein«, sagte er und stand auf, als seine Vermieterin eintrat, eine gut aussehende Frau, die Pitt auf Mitte fünfzig schätzte. Eine gestärkte weiße Schürze verdeckte den größten Teil ihres Baumwollkleides. Ein angenehmer Geruch nach warmer Küche erfüllte mit einem Mal den Raum.
»Soll ich Ihn’n das Ab’ndess’n warm halt’n, Mr Tellman?«, fragte sie. Sie sah zu Pitt hin. »Es wär auch genug für Ihr’n Besuch da, wenn er möchte. Er darf gern mitessen.«
Tellman sah fragend zu Pitt hin.
Pitt nahm das Angebot bereitwillig an, und Tellman bat die
Frau, das Essen möglichst bald zu bringen. Sie warteten, bis sie mit dem Tablett zurückkam, dankten ihr und nahmen das Gespräch wieder auf, während sie aßen. Das einfache Mahl aus Würstchen mit Kartoffelbrei und Kohl war gut zubereitet und reichlich.
»Spitalfields gehört zum Revier von Cannon Street«, sagte Tellman betrübt. »Da ist Simbister zuständig. Wetron scheint sich in letzter Zeit ziemlich gut mit ihm zu verstehen. Es sieht ganz so aus, als ob er überall Verbündete sucht. In so großem Ausmaß hab ich das noch nie gesehen. Gewöhnlich gibt es da eine Art von …« Er suchte nach dem treffenden Wort. »… Rivalität. Bei ihm ist das aber anders. Überhaupt ist alles ganz anders als sonst. Ich weiß nicht recht, man kann nicht genau sagen, was dahinter steckt.«
Pitt konnte sich denken, was Tellman meinte. Der Innere Kreis, so weit er noch existierte, war ein Geflecht aus geheimen Bündnissen, Versprechungen und gegenseitigen Treuebeziehungen zwischen Männern, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten. Kein Außenstehender wusste, wer sie waren; man bekam lediglich mit, dass bestimmte Leute Erfolg hatten, wo sich andere vergeblich abgemüht hatten. Gewisse Geschäftsabschlüsse wurden eher mit diesem als mit jenem getätigt. Bei Beförderungen wurde bisweilen jemand einem fähigeren Mitbewerber vorgezogen. Sollte sich aber herausstellen, dass Wetron, der jetzt an der Spitze dieser Geheimorganisation stand, innerhalb der Polizei Bündnisse mit Männern knüpfte, die als Konkurrenten bei der Besetzung höherer Positionen infrage kamen, und noch dazu womöglich im ganzen Lande, bestand in der Tat Grund zur Besorgnis.
»Simbister?«, fragte Pitt.
»Andere auch, aber er vor allem«, antwortete Tellman, während er ein Stück Wurst kaute. »Falls die Schutzgelderpresser zur Wache Cannon Street gehören, gibt es da mit Sicherheit mehr als zwei oder drei. Sie dürfen da von niemandem Unterstützung erwarten.«
»Das denke ich mir.« Ein kalter Schauer überlief Pitt, obwohl
das Zimmer gut geheizt war und er gerade eine warme Mahlzeit zu sich nahm. »Genau aus diesem Grunde brauchen Sie noch jemanden, auf den Sie sich in jeder
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