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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wenig vor. »Ich sehe, dass Sie mir glauben; Sie wissen genau, dass ich die Wahrheit sage. Wenn Sie überzeugend genug lügen und Ihre Leute dazu bringen, das ebenfalls zu tun, können Sie dafür sorgen, dass man mich wegen des Mordes an Magnus hängt. Trotzdem können Sie uns nicht alle zum Schweigen bringen. Es gibt Beweise, und die finden Sie nie. Magnus hat man umgebracht – ein anderer wird an seiner Stelle fortführen, was er angefangen hat.«
    »Und was war sein Ziel?«, fragte Pitt. »Außer Chaos, dem Bestreben, alle Vorschriften abzuschaffen, dafür zu sorgen, dass die Versorgung der Bevölkerung zusammenbricht, man die Häuser nicht mehr heizen und die Schwachen nicht mehr schützen kann …«
    »Das wollte er selbstverständlich nicht!«, sagte Carmody angewidert. »Keiner von uns wollte ein wirkliches Chaos, nur das Ende der Unterdrückung.« Er veränderte seine Stellung ein wenig. Die Luft in der Zelle war feucht. »Spotten Sie über uns, so viel Sie wollen, das ändert nichts daran, dass er ein Reformer und kein Revolutionär war. Sie haben mich gefragt, wem daran gelegen gewesen sein könnte, ihn umzubringen? Das weiß ich nicht – uns jedenfalls nicht. Wir haben an das geglaubt, was er getan hat, und waren bereit, alles zu geben, was wir hatten, um ihn dabei zu unterstützen. Das sind wir nach wie vor!« Er wies mit dem Finger auf die Stahltür. »Fragen Sie lieber, wer etwas zu verlieren hat – dann haben Sie das Motiv. Soll ein Kriminalbeamter nicht immer nach dem Motiv suchen? Wem hätte Magnus schaden können? Korrupten Polizeibeamten. Da haben Sie Ihre Antwort.«
    »In der Cannon Street?«, fragte Pitt ruhig.
    »Und in der Bow Street, in Mile End, in Whitechapel.«
    »Wer hat die Beweise?« Auch wenn er nicht mit einer Antwort rechnete, musste er doch danach fragen.
    Carmody schnaubte. »Glauben Sie, das würde ich Ihnen sagen? Wenn Sie es wirklich nicht wissen sollten, arbeiten Sie sich von der Myrdle Street nach Westen vor. Probieren Sie es in der Kneipe von Dirty Dick in Bishopsgate oder bei Polly Quick im Ten Bells am Markt von Spitalfields.«
    Pitt gab sich einstweilen mit dieser Auskunft zufrieden. Mehr würde er von dem Mann wohl ohnehin nicht erfahren, wie lange er die Befragung auch fortsetzen mochte. Ihm würde also nichts anderes übrig bleiben, als den Anschuldigungen nachzugehen, wenn er wissen wollte, ob sie auf Wahrheit beruhten oder nicht.
    Er richtete sich auf. »Das werde ich tun«, sagte er.
    »Die sind überall im East End«, fügte Carmody hinzu. In seiner Stimme schwang ein sonderbarer naiv-hoffnungsvoller Ton mit. »Vorausgesetzt, Sie wollen das wirklich, werden Sie die finden.«

    Bevor Pitt daran ging, an den von Carmody genannten Stellen nachzuforschen, kehrte er in die Keppel Street zurück. Wer im East End etwas in Erfahrung bringen wollte, durfte nicht annähernd so gut gekleidet sein wie er. Zu Charlottes großem Missbehagen hatte er für Vorhaben wie dieses vor Schmutz starrende ausgefranste und schlecht sitzende Kleidungsstücke sowie abgestoßene und mehrfach neu besohlte Schuhe zu Hause.
    In dieser Kleidung traf er gegen Mittag in Bishopsgate ein und mischte sich unter die Hausierer, Arbeiter und kleinen Angestellten auf der Straße. Dort arbeiteten Männer, Frauen und Kinder vom frühen Morgen bis zum späten Abend, um einen kümmerlichen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie stellten billige Möbel her, flochten Körbe, nähten Kleidungsstücke oder handelten mit allem, wofür sich ein Abnehmer fand. Auf den lauten und schmutzigen Straßen wimmelte es von Menschen. Der Geruch nach Abfällen, altem Ruß und ungewaschenen Leibern stieg ihm in die Nase und in die Kehle. Einige magere Kühe und Schweine durchwühlten die Marktabfälle auf der Suche nach etwas, was sie fressen konnten. Hunde schnüffelten hoffnungsvoll umher, und Katzen waren auf der Jagd nach Mäusen und Ratten.
    Ohne befürchten zu müssen, dass ihn jemand bestahl, zog Pitt durch Bishopsgate, denn er hatte nichts Wertvolles in den Taschen. Er ging durch die Camomile Street, Wormwood Street und Houndsditch, bis er schließlich die Kaschemme von Dirty Dick erreichte. Vor gut hundert Jahren hatte sie Gates of Jerusalem geheißen – ein beachtlicher Abstieg.
    Die Tür stand offen, und ein massiger Mann, dessen Haare wie angeklebt quer über dem Schädel lagen, rollte ein Bierfass über den Gehweg zur Falltür, die in den Keller führte.
    Pitt blieb neben ihm stehen.
    Der Mann hob den Blick. »Da

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