Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Narraway. »Kommen Sie zur Sache, Mann!«
Pitt spürte, wie sich alles in ihm anspannte. Es widerstrebte ihm, diese Dinge wem auch immer sagen zu müssen, und Narraway machte ihm die Sache nicht leichter. »Tellman sagt, dass Wetron Bündnisse mit Männern schmiedet, die unter normalen Umständen bei einer möglichen Beförderung als seine Konkurrenten infrage kämen. In erster Linie dürfte das Simbister aus der Cannon Street sein.«
Narraway stieß langsam die Luft aus. »Aha. Gehört der ebenfalls dem Inneren Kreis an?«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber sofern er noch nicht Mitglied ist, nehme ich an, dass er es bald sein wird.«
»Und welches Ziel mag Wetron mit dieser Taktik verfolgen?«
Narraways Finger hielten den Federhalter umfasst und bewegten ihn unbewusst vor Anspannung langsam auf und ab.
»Macht«, gab Pitt schlicht zur Antwort. »Nichts als Macht.«
»Und dazu benutzt er Simbister?« Narraways Stimme hob sich ein wenig. Es fiel ihm schwer, das zu glauben.
»Sieht ganz so aus.«
»Inwiefern könnte eine korrupte Polizei seinen Interessen dienen?«, fragte Narraway. »Wenn er Polizeipräsident werden möchte, ist es unerlässlich, dass er nicht nur als fähig gilt, sondern auch als über jeden Verdacht erhaben. Andernfalls würde ihn das Parlament nie und nimmer unterstützen, da könnte er so reich sein wie Krösus. Die Männer an der Spitze des Landes wollen Stabilität und Sicherheit für den Bürger. Wenn das Eigentum nicht sicher ist, fühlt sich der Wähler unwohl.« Sein Gesichtsausdruck wirkte, als rechne er damit, dass ihm Pitt widersprechen würde.
»Ich weiß nicht, warum er die Korruption der Polizei fördern sollte«, gab Pitt zu. »Aber sind Sie bereit, die Hand dafür ins Feuer zu legen, dass Wetron bei Simbister nicht die Finger im Spiel hat?«
Narraway machte sich nicht die Mühe zu antworten. »Und welchen Auftrag haben Sie Tellman gegeben?«
Pitt zögerte. Er hatte Narraway ursprünglich nichts von seiner Absicht sagen wollen, Taschen-Jones festnehmen zu lassen und dann an dessen Stelle zu treten, doch hätte ihm von vornherein klar sein müssen, dass ihm gar nichts anderes übrig bleiben würde. Jetzt jedenfalls war es unvermeidlich. Er schilderte ihm die Zusammenhänge so knapp wie möglich. Es war nicht nötig zu erklären, warum er bei seinem Vorhaben auf Tellmans Hilfe angewiesen war. Angehörige des Staatsschutzes durften keine Verhaftungen vornehmen, und einem Polizeibeamten aus dem Revier der Cannon Street zu vertrauen wäre angesichts der Situation hochgradig unklug gewesen.
»Seien Sie vorsichtig, Pitt«, mahnte Narraway überraschend eindringlich. Auf seinem Gesicht lag nicht mehr der kleinste
Anflug von Ironie. Er hatte die vorgetäuschte Beschäftigung mit seinen Papieren längst aufgegeben und beugte sich leicht vor. »Sie wissen weder, wer in die Sache verwickelt ist, noch mit wie vielen Sie es da zu tun bekommen. Dahinter steckt sicher nicht nur Habgier, sondern es geht wohl auch um vermeintliche Verpflichtungen – Ihnen sollte das weiß Gott bekannt sein! Und Angst. Was geschieht mit denen, die nicht bereit sind, mitzumachen? Ein Mann braucht einen Arbeitsplatz, denn er muss seine Familie ernähren. Außerdem Ehrgeiz. Wer erklärt schon gern seiner Frau oder seinem Schwiegervater, warum er nicht befördert wird? Von den Söhnen ganz zu schweigen!«
»Ich weiß«, sagte Pitt ruhig.
»Ach ja?«, sagte Narraway herausfordernd. »Und vermutlich ist Ihnen auch klar, dass Sie Tellman ein Kainsmal aufdrücken, wenn herauskommt, dass zwischen ihm und Ihnen eine Verbindung besteht? Ein Mann wie Wetron lässt sich nicht so ohne weiteres hinters Licht führen, und schon gar nicht von Ihnen. Zwar haben Sie ihm seinerzeit die Gelegenheit in die Hände gespielt, Voisey zu vernichten und die Führung des Inneren Kreises zu übernehmen, doch er weiß, dass Sie nach wie vor dessen unnachsichtigster und bisher auch erfolgreichster Gegner sind. Daran wird er immer denken, und das müssen Sie auch.«
Ein Frösteln überlief Pitt. All das hatte er bereits gewusst, aber derart eindringlich formuliert, schien die Gefahr plötzlich wesentlich konkreter. Beim Besuch Tellmans war er mit größter Umsicht vorgegangen, hatte darauf geachtet, dass er ihn zu einer Zeit aufsuchte, als es dunkel, die Straßen aber noch voller Menschen waren. War es ein Fehler gewesen, ihn um Hilfe zu bitten?
Nein. Tellman war kein Kind, das man vor der Wahrheit schützen musste, und noch
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