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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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anderen gezeigt, dass er sich davor fürchtete, Erinnerungen an diese Auseinandersetzung zu wecken. Ihn beunruhigte das Bewusstsein, wie intensiv er über all das nachgedacht hatte, bevor sie überhaupt miteinander ins Gespräch kamen, bevor Voisey auch nur ein einziges Wort gesagt hatte.
    Langsam wandte sich der Angesprochene um. Er war elegant und unauffällig gekleidet. Man hätte glauben können, er sei eher gekommen, um sich in die Betrachtung der Helden der Vergangenheit zu versenken, als um über die politischen Schlachten der Gegenwart zu reden.
    »Guten Morgen, Pitt«, gab er zur Antwort. »Sie haben sich ein wenig verspätet. Sind Sie zum ersten Mal hier? Vielleicht möchten Sie etwas umhergehen, vorausgesetzt, Sie können sich dabei auf das konzentrieren, was wir zu besprechen haben? Ich kann Ihnen einige der anderen bemerkenswerten Grabmäler zeigen, auch wenn natürlich keines von ihnen so …« – er zögerte – »spektakulär ist wie dies hier.«
    Pitt sah sich das imposante Denkmal genauer an. Es war reich verziert und entfaltete eine ungeheure Pracht: der Tribut der Nation an einen Mann, der nicht nur den bedeutendsten Sieg in einer Seeschlacht errungen hatte, sondern auch als Held geliebt wurde, einen Mann, der im Augenblick seines höchsten Triumphs den Tod gefunden hatte. Pitt hielt das für durchaus angemessen, und ihn erfüllte tiefer Stolz, während er vor dem Grabmal stand. Einen Augenblick lang hatte er Voiseys Anwesenheit vollständig vergessen.
    »Wir haben nahezu vierzig Offiziere und fünfhundert Seeleute verloren«, unterbrach Voisey seine Gedanken.
    »Vor Trafalgar?«, fragte Pitt überrascht. Die Zahl schien ihm für eine solche Schlacht sehr gering.
    »In der ganzen britischen Flotte«, gab Voisey zur Antwort. Auf seinem Gesicht lag Spott, seine Augen leuchteten. »Dazu zählen die Schiffe der Franzosen und Spanier natürlich nicht.«
    Pitt sagte nichts, er kam sich ein wenig töricht vor.
    »Die haben über hundert Offiziere und eintausendeinhundert Matrosen verloren«, fuhr Voisey fort.
    Wieder gab Pitt keine Antwort.
    »Sonderbarer Mensch«, spann Voisey den Faden weiter. »Immer, wenn das Schiff auslief, wurde er seekrank.« Er bezog sich auf Nelson.
    »Ich weiß«, sagte Pitt.
    »Und er hatte eine Vorliebe für üppige Frauen, die streng rochen«, fügte Voisey hinzu.
    Pitt wusste nicht, ob das der Wahrheit entsprach, und er wollte es auch nicht wissen. Er warf einen Blick auf Voisey und sah dann wieder beiseite. Ihm war klar, warum er das gesagt hatte: Er wollte damit die Klassengegensätze herausstreichen und Pitt daran erinnern, dass er im Unterschied zu ihm aus einer Aristokratenfamilie stammte und mit Selbstverständlichkeit die Schwächen von Helden und die natürlichen Dinge des Lebens betrachtete, ganz im Gegensatz zur prüden Haltung der Unterschicht. Er sondierte, versuchte die richtige Stelle zu finden, an der er Pitt treffen konnte.
    »Tatsächlich?«, fragte dieser in gleichgültigem Ton. »Wie viele Schiffe haben wir denn verloren?«
    »Die Franzosen und Spanier haben aus ihrer gemeinsamen Flotte einundzwanzig eingebüßt«, gab Voisey zurück.
    Pitt lächelte im Bewusstsein dessen, dass sich die Situation zwischen ihnen allmählich zu seinen Gunsten verschob. »Sie scheinen sich ja gründlich damit beschäftigt zu haben.«
    »Immerhin war es ein Wendepunkt, eine der bedeutendsten Seeschlachten der Weltgeschichte.« Jetzt hatte er Voisey in die Defensive gedrängt. »Es muss ein eindrucksvolles Bild gewesen
sein.« Er sah nachdenklich auf das Grabmal. Unwillkürlich schwang Stolz in seiner Stimme mit. »Zweiundsechzig Schiffe, die sich an einem kalten Oktobermorgen unter Vollzeug zur Schlacht stellten. Wir waren dem Gegner an Feuerkraft und auch zahlenmäßig unterlegen. Dreiunddreißig zu neunundzwanzig.«
    »Wie viele Schiffe haben wir verloren?«, wiederholte Pitt seine Frage. Unwillkürlich empfand er Sympathie für Voisey, weil sich dieser für die Sache interessierte. Da er sich nicht mit dessen Patriotismus identifizieren wollte, konzentrierte er sich auf die Fakten.
    »Die Franzosen acht, die Spanier dreizehn«, sagte Voisey.
    »Und wir?«
    Voisey nickte zu dem Grabmal hin. »Wir haben Nelson verloren.«
    »Und Schiffe?« Pitt ließ nicht locker. Er war nicht bereit, an Menschenleben und Gefühle zu denken. Er wollte bei dem bleiben, was zähl-und messbar war.
    »Nicht ein einziges. Alle Schiffe sind in die Heimat zurückgekehrt.« Voisey schien ein wenig

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