Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
der Straße angesprochen. Ich soll mit ihm zusammenarbeiten, weil er möchte, dass das Gesetz verhindert wird.«
Der Ausdruck unterschiedlicher Empfindungen trat nacheinander auf Narraways Gesicht: Verblüffung, Ungläubigkeit und einen flüchtigen Augenblick lang sogar Belustigung. »Ach ja?«,
sagte er schließlich. »Und was haben Sie ihm gesagt?« Es war unübersehbar, dass er auf die Antwort neugierig war.
Pitt zwang sich zur Ruhe. »Ich habe ihm gesagt, dass ich darüber nachdenken und ihm meine Antwort heute sagen werde. Ich treffe ihn um die Mittagszeit in St. Paul’s. Ich bin entschlossen, es zu tun.«
Mit einer Stimme, fast wie das Schnurren einer Katze, sagte Narraway: »Sollte man das für möglich halten.« Es klang eher herausfordernd als fragend.
Pitt nahm die Herausforderung an.
»Ich kann mir eine andere Haltung nicht leisten. Und ich denke, Sie können es sich nicht leisten, mich daran zu hindern. Wir sind auf die Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen, um unsere Aufgabe zu erledigen. Unter einem Polizeipräsidenten Wetron würde nicht nur der Innere Kreis gegen uns arbeiten, sondern auch die Polizei. Damit wären wir vollständig lahmgelegt und könnten lediglich tun, was Wetron zulässt.«
»Glauben Sie die Geschichte tatsächlich?«, fragte Narraway. »Ist Ihnen noch nicht der Gedanke gekommen, Voisey könnte sich das alles aus den Fingern gesogen haben, um Sie als Werkzeug zur Vernichtung Wetrons zu benutzen und sich selbst wieder an die Spitze des Inneren Kreises zu setzen?«
»Selbstverständlich«, gab Pitt erbittert zur Antwort. »Und zweifellos ist sich Voisey auch klar darüber. Aber das ändert weder etwas an Tanquerays Gesetzesantrag noch an der Korruption innerhalb der Polizei, die Wetron nicht verhindert hat, ganz gleich, ob er davon weiß oder nicht.«
Narraway verzog den Mund und nickte leicht. »Und wer hat Magnus Landsborough auf dem Gewissen?«
»Das weiß ich nicht«, gab Pitt zu, »aber ich bin fest entschlossen, es herauszubekommen. Dazu muss ich noch einmal mit Welling und Carmody sprechen. Allerdings wird es immer schwieriger, von ihnen nützliche Hinweise zu bekommen. Beide sind Idealisten. Sie haben den Blick starr auf die korrupte Polizei gerichtet, deren Vertreter man ausschließlich durch Gewalt beseitigen
kann. Gewiss, sie haben Häuser gesprengt, aber nicht ohne zuvor deren Bewohner von der bevorstehenden Explosion in Kenntnis zu setzen.« Er versuchte die Vergeblichkeit und die Einfältigkeit eines solchen Vorgehens in Worte zu fassen. »Sie wollten kein Blutvergießen, da das in ihren Augen der letzte Ausweg wäre. Wohl aber waren sie bereit, die Wohnungen und die Habe der Armen zu zerstören und ihnen die Mittel zu nehmen, die ihnen das Leben erträglich machen. Beide sind gesunde junge Männer ohne Frau und Kinder, die nichts zu verlieren haben. Diese Träumer wissen nichts von der Wirklichkeit des Lebens anderer, von den Empfindungen und den Bedürfnissen der Menschen. Ich weiß nicht, was ich denen sagen soll.«
Narraway schien bereits darüber nachgedacht zu haben. »Sagen Sie ihnen, dass man sie aufknüpfen wird«, sagte er und sah Pitt starr an. »Ich denke, das ist auch ihnen selbst klar, nur haben sie es vielleicht nicht bedacht. Zwar ist beim Anschlag in der Myrdle Street niemand ums Leben gekommen, aber einer der Anarchisten hat einen Polizeibeamten angeschossen. Wären Sie nicht zu ihm gegangen, um die Blutung zum Stillstand zu bringen, er wäre womöglich verblutet. Die Leute haben sich also nicht nur eines schweren Verbrechens schuldig gemacht, man kann sie obendrein wegen versuchten Mordes an einem Polizeibeamten in Ausübung seines Dienstes unter Anklage stellen.«
Trotz der Wärme im Raum überlief es Pitt kalt. Dass man junge Männer an den Galgen brachte, die taten, was sie für richtig hielten, ganz gleich, wie fehlgeleitet sie dabei gewesen sein mochten, gehörte zu den Aspekten seiner Arbeit, die ihm Widerwillen einflößten.
Ihm war klar, dass es sinnlos wäre, gegen Narraway zu argumentieren. Er wusste nicht einmal, wie dieser selbst dazu stand oder was er im tiefsten Inneren in Bezug auf die Freuden oder Ärgernisse empfand, die seine Arbeit mit sich brachte. Was er über seinen Vorgesetzten wusste, war äußerst bruchstückhaft. Ihm war bekannt, dass er peinlich genau auf seine Kleidung achtete und bei seiner Aktenarbeit nachlässig war, nur wenig aß, aber
eine Leidenschaft für gute Weine und süßes Gebäck hatte. Auf
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