Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
ihn zu verleumden versucht, damit aber nicht viel Erfolg gehabt. Außerdem dürfte da wohl Jack Radley sein. Er ist mit meiner Familie von ferne verschwägert, spielt im Unterhaus aber so gut wie keine Rolle. Ich nehme an, dass man es für eine Verzweiflungstat halten würde, wenn ihn jemand angriffe, und wir wollen ja wohl weder boshaft erscheinen noch den Eindruck erwecken, wir hätten es nötig, zu verzweifelten Mitteln zu greifen.«
»Diese Männer scheinen in der Tat belanglos zu sein«, gab ihr Cordelia Recht. »Gibt es jemanden, um den wir uns Sorgen machen müssten?« In ihren Augen lag zwar eine leichte Belustigung, aber sie hörte zu. Ihr war klar, dass Vespasia ohne etwas Handfestes nicht gekommen wäre.
»Sir Charles Voisey hat weit mehr Einfluss, als man auf den ersten Blick annehmen sollte«, sagte Vespasia. Sie hoffte, dass es kein falscher Schachzug war, Cordelias Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken.
Cordelias schwarze Brauen hoben sich fragend. »Tatsächlich? Ich habe von ihm zum ersten Mal im Zusammenhang mit der merkwürdigen Republikaner-Geschichte gehört, als er den seltsamen Italiener erschossen und damit, wie es aussieht, unsere Königin gerettet hat. Ich habe nie so recht gewusst, was ich von der Sache glauben soll und was nicht.«
Vespasia spürte, wie ihr Herzschlag aussetzte, denn ›der seltsame Italiener‹, von dem Cordelia so herablassend sprach, war Mario Corena, Vespasias große Liebe, gewesen, und der Verlust schmerzte sie wie am ersten Tag.
Außerstande, Cordelia in die Augen zu sehen, senkte Vespasia den Blick auf die Hände, die in ihrem Schoß ruhten. »Voisey hat Verbindungen bis in die allerhöchsten Kreise«, sagte sie gefasst, »Freunde und Feinde an vielen Orten. Sie wissen ja, wie das ist. Männer gehen Verpflichtungen ein und erfahren dabei dies und jenes.«
»Sie meinen …«, setzte Cordelia an.
Sie konnte ihren Satz nicht zu Ende sprechen, da das Mädchen hereinkam und ihr mitteilte, das Ehepaar Denoon sei eingetroffen. Sie wollte wissen, ob sie sie im Damenzimmer warten lassen oder in den Salon führen sollte.
Cordelia blieb nichts anderes übrig, als Schwager und Schwägerin zu empfangen. Sie unterdrückte die Enttäuschung darüber, dass ihre Unterhaltung mit Vespasia auf diese Weise unterbrochen wurde, und sagte dem Mädchen, sie solle Mr und Mrs Denoon hereinführen.
Selbstverständlich trug auch Enid Trauer, hatte aber das Schwarz durch eine außergewöhnlich schöne Kamee, die sie an einem Samtband um den Hals trug, ein wenig aufgehellt. Da sie blond war, wirkte sie ganz von selbst lebensfroher als die schwarzhaarige Cordelia. Während Vespasias Anwesenheit sie nur leicht zu verblüffen schien, trat Denoon Vespasia mit finsterer Miene gegenüber. Zwar wahrte er die Formen der Höflichkeit, unternahm aber nicht den geringsten Versuch, den Eindruck zu erwecken, als freue er sich, im Kreis der Familie eine Außenstehende vorzufinden.
Cordelia machte sich sogleich daran, die Situation zu erklären, und sagte, als die Begrüßung vorüber war, ohne lange Vorrede: »Lady Vespasia liegen unsere Interessen sehr am Herzen. Gerade hat sie mich darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass wir uns nicht nur selbst vor politisch motivierten Angriffen schützen, sondern auch unsere Verbündeten.«
»Sehr aufmerksam von Ihnen, Lady Vespasia, aber ganz und gar unnötig«, bemerkte Denoon kalt. Auf seinem Gesicht lag unübersehbar Selbstgefälligkeit. »Ich bin über diese Dinge bestens auf dem Laufenden. Ein Einfaltspinsel kann nicht gut Herausgeber einer Zeitung sein.«
Angesichts dieses ungehobelten Ausfalls fuhr Cordelia auf, vielleicht, weil sie Vespasias Hilfe wünschte. »Wenn dir Charles Voiseys geheime Verbindungen bekannt sind, hättest du mir ruhig etwas davon sagen können«, sagte sie eisig.
Denoon erstarrte. »Was ist mit Voisey?«
Vespasia sah, wie sich seine Nackenmuskeln spannten und er seine Körperhaltung ein wenig änderte. Zwar hatte sie gewusst, dass er auf Wetrons Seite stand, doch ging ihr in diesem Augenblick auf, dass er wohl auch dem Inneren Kreis angehörte und daher über die Rolle im Bilde war, die Voisey dort gespielt hatte, bevor es zum Bruch gekommen war. Um solche Dinge zu erfahren, war sie in das Trauerhaus gekommen.
»Nun«, sagte sie mit nahezu ausdruckslosem Gesicht. »Bekanntlich spricht er sich gegen den Gesetzesantrag aus, und alles deutet darauf hin, dass er entschlossen ist, seinem Standpunkt mit gewissem Nachdruck Geltung
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