Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
zu verschaffen.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte er herausfordernd.
Sie hob leicht die Brauen. »Wie bitte?«
»Woher wissen …?« Er hielt inne.
Enid ergriff das Wort. »Ist er etwa ein Befürworter der Anarchie?«, fragte sie und nieste dann heftig. »Entschuldigung.« Sie suchte in ihrem Ridikül nach einem Taschentuch. Ihre hellen, blassen Augen begannen zu tränen.
Vespasia war höflich genug, so zu tun, als habe sie nichts bemerkt. »Ich glaube nicht«, gab sie zur Antwort. »Eine solche Haltung könnte er sich unmöglich leisten. Ich nehme an, er wird sagen, dass die Polizei bereits genug Schusswaffen besitzt und Angaben über das Treiben umstürzlerischer Gruppen weit wertvoller sein würden als die Vollmacht, Menschen nach Gutdünken zu durchsuchen, und dass die Polizei höchstwahrscheinlich keine Unterstützung von der Bevölkerung erwarten dürfe, wenn sie die Menschen schikaniert und ihre Macht missbraucht.«
Enid nieste erneut. Es sah ganz so aus, als sei bei ihr eine Erkältung im Anzug. Ihre Augenlider waren gerötet.
»Haltlose Behauptungen«, tat Denoon ihre Worte ungeduldig ab. »Wenn die Polizei die Vollmachten hätte, um die Angaben zu bekommen, von denen Sie sprechen, hätte sie den Anschlag in der Myrdle Street verhindert. Das liegt ja wohl auf der Hand.«
Vespasia zögerte. Ein Hinweis darauf, dass die Polizei trotz
Schusswaffen und Durchsuchungen Magnus Landsboroughs Beteiligung an dem Anschlag nicht entdeckt hätte, wäre unnötig grausam und könnte sie dem Verdacht aussetzen, Voiseys Position zu verteidigen. Bei dem Spiel, das sie spielte, ging es nicht nur um Fakten, sondern auch um Emotionen.
»Ich bin weder eine Fürsprecherin Sir Charles’, noch vertrete ich seinen Standpunkt, Mr Denoon«, sagte sie sanft und mit einer Andeutung von Herablassung. »Ich will lediglich darauf hinweisen, dass das, was er im Unterhaus vorträgt oder möglicherweise in Zeitungen von sich gibt, den Eindruck erweckt, vernünftig zu sein. Ich bin mit der Absicht hergekommen, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass er Mr Tanquerays Gesetzesvorlage mit größter Wahrscheinlichkeit scharf bekämpfen wird.«
Denoon stieß leise die Luft aus. »Ja, natürlich«, sagte er etwas ruhiger. »Wissen Sie, ob ihn das Thema aus persönlichen oder aus politischen Gründen interessiert?« Er tat so, als betrachte er sie gleichmütig, war aber erkennbar voll angespannter Aufmerksamkeit.
Enid, die sich inzwischen auf dem großen Sofa niedergelassen hatte, nieste erneut und stand auf. Ihre Augenlider wirkten geschwollen.
Vespasia hob mit einer eleganten und weitläufigen Bewegung ein wenig die Schultern. »Ich habe nicht die geringste Ahnung«, log sie.
Ungehalten sagte Cordelia: »Wahrscheinlich beides. Es ist nicht zu übersehen, dass der Mann vor Ehrgeiz förmlich platzt.« Sie sah zu ihrer Schwägerin hin. »Setz dich lieber da in den Sessel«, bot sie ihr an. »Edward, würdest du bitte das Fenster öffnen?« Sie sagte das im Befehlston, wie man einem Dienstboten eine Anweisung erteilt, bei dem man nicht im Entferntesten auf den Gedanken kommt, er könne nicht gehorchen.
Mit finsterer Miene sah er sie an, ohne sich vom Fleck zu rühren.
»Enid leidet unter den Katzenhaaren!«, fuhr sie ihn an. »Du weißt doch, dass sie gegen Katzen allergisch ist! Dem armen
Sheridan geht es genauso. Ich habe strenge Anweisung gegeben, dass das Vieh im Dienstbotentrakt bleiben soll, aber irgendwie muss es hier reingekommen sein und hat wohl einige Haare hinterlassen. Ich habe es heute Morgen hinausgescheucht.«
Widerwillig ging Denoon zum Fenster und öffnete es unnötig weit, sodass die kühle Luft und der Geruch nach frisch gemähtem feuchtem Gras hereinkamen.
»Danke«, sagte Enid und nieste erneut. »Entschuldigung«, wandte sie sich an Vespasia. »Ich mag Katzen – sie sind ja auch sehr nützlich –, aber wir können keine im Hause halten. Piers und ich sind in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Ein Leiden unserer ganzen Familie – bei Sheridan ist es ebenso.« Diese letzte Bemerkung richtete sie an Cordelia.
»Genau deswegen darf das Vieh den Dienstbotentrakt ja nicht verlassen«, erläuterte diese. »Sheridan geht nie dorthin.«
»Wo ist er überhaupt?«, fragte Denoon. »Wird er heute Nachmittag zu Hause sein? Seine Unterstützung in dieser Sache würde uns sehr nützen. Wenn er in der Angelegenheit das Wort ergreift, wird das größeren Eindruck machen als bei jedem anderen. Er würde der Sache Gesicht
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