Flammenbraut
schnaubte verächtlich. »Natürlich nicht. Er hat Johnny und seine Mutter im Stich gelassen, bevor Johnny laufen konnte. Er hat seine Frau mitten während der Depression verlassen. Männer haben damals schon keinen Job gefunden und Frauen erst recht nicht. Sie … ich weiß nicht, wie sie überlebt hat. Johnny hat nie darüber gesprochen.«
»Was hat er Ihnen noch über seinen Vater erzählt?«
Sie lehnte sich an die Wand, während sie sprach, als ob sie sich nicht länger allein aufrecht halten könnte. »Nichts, außer dass er ihn leidenschaftlich hasste.«
»Aber er hat die Notizbücher aufbewahrt?«
»Wie ich schon sagte, wenn man sonst nichts hat … Johnny dachte immer, sein Leben wäre besser verlaufen, wenn sein Vater bei ihnen geblieben wäre, wenn er genug zu essen gehabt hätte, eine vernünftige Wohnung. Er hätte dann wenigstens die Highschool abschließen können. Stattdessen musste er irgendwie über die Runden kommen, stehlen, was er den Leuten nicht abschwindeln konnte. Er tat mir leid, also habe ich Idiotin ihn geheiratet.« In einem verzweifelten Schluck leerte sie ihre Tasse. »Auch da hatte ich noch große Hoffnungen. Er war ein ganzes Stück älter als ich. Ich dachte, das würde ihn stabiler machen. Ha! Er hat uns dann verlassen, bevor Kim laufen konnte. Die Geschichte wiederholt sich immer wieder.«
Die Geschichte wiederholt sich immer wieder.
» Wo ist Johnny jetzt?«, erkundigte sich Frank.
»Tot. Man hat ihn in einer Nebenstraße der East Seventy-first gefunden.«
»Wann war das?«
»Verdammt, ich erinnere mich nicht. Ich glaube, Kim war gerade fünf geworden.«
Vor achtzehn Jahren. Frank dachte über diese Tatsache nach, während er sich mit ächzenden Knien aufrichtete und sich auf einen Holzstuhl setzte. »Woran ist er gestorben?«
»Natürliche Ursache. Ich vermute ja, er erlitt einen Herzinfarkt, nachdem er eine Nutte gevögelt hat, aber ich will das eigentlich nicht glauben, weil es bedeuten würde, dass er glücklich gestorben ist. Ich habe es Kim nie erzählt … Ich meine, ich habe ihr gesagt, dass er an einem Herzinfarkt gestorben ist, aber nichts über die Umstände. Sie hatte schon zu fragen begonnen, ob er je zu uns zurückkehren würde, da wollte ich ihr keine unnötigen Hoffnungen machen.«
Die Geschichte wiederholt sich immer wieder.
» Warum?«, wollte Mrs. Hammond erneut wissen und ließ sich wieder auf das Sofa sinken. »Was haben die alten Sachen ihres Großvaters damit zu tun, dass sie umgebracht wurde?«
Frank und Angela wechselten einen Blick. Schließlich fragte Angela: »Hat Kim zufällig eine Meldung aus den Nachrichten erwähnt, dass man eine Leiche in einem alten Gebäude in der Nähe der Fifty-fifth gefunden hat?«
Die Falten zwischen den Brauen von Mrs. Hammond wurden bei jeder Frage tiefer. »Was?«
»Die Zeitungen und das Fernsehen haben alle berichtet …«
»Zeitungen sind ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann, und ich schaue keine Nachrichten. Kim schon, manchmal, aber sie hat mir gegenüber nichts von einer Leiche erwähnt. Warum? «
»Wir haben James Millers Leichnam in dem Gebäude 4950 Pullman Street gefunden.«
Sie ließen Mrs. Hammond einen Moment Zeit. Einen langen Moment. Frank stellte sich vor, wie ihr Verstand sich dieser Information näherte wie ein scheues Tier einem unbekannten Gegenstand, wie es immer näher kam, dann zurückwich, um von einem anderen Punkt aus wieder heranzugehen, voller Unsicherheit, ob es etwas Wertvolles oder Gefährliches oder schlicht Unwichtiges war.
»Johnnys Vater? Verdammt … aber was hat das mit Kim zu tun?«
Frank antwortete: »Das versuchen wir herauszufinden. Sie hat es nie erwähnt? Hat sie in den letzten Tagen über ihren Vater gesprochen? Fragen über ihn oder ihren Großvater gestellt?«
»Nein, nicht dass ich mich erinnere. Wir haben seit Jahren nicht über Johnny gesprochen, ich habe versucht, das Thema zu vermeiden. Es gab zu viele … Parallelen. Ihr Leben und das Leben ihres Vaters verliefen zu ähnlich. Ich wollte nicht, dass sie so endet wie er. Kim dachte wie Johnny – dass das Leben nicht fair zu ihr gewesen sei, weshalb sie eine Pause verdient hätte. Ich glaube, das ist das Einzige, was sie von ihm geerbt hat, abgesehen von dem Abzeichen und diesen Notizbüchern.«
»Notizbücher? Wie viele waren es denn?«
»Zwei.«
»Hier ist aber nur eins.«
Wieder furchte Mrs. Hammond die Stirn. »Es waren aber ganz sicher zwei.«
Frank blätterte durch die Seiten. Das erste
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