Flammenbraut
wo sie das Spektrometer für die Analyse auf Schießpulverrückstände vorbereiten wollte. Das Labor wirkte zur Abwechslung einmal ganz gemütlich, nachdem die Sommerhitze endlich ein Ende hatte. Sobald es schneite, würde es entweder zu heiß oder zu kalt sein, je nachdem, ob die Heizung korrekt arbeitete oder nicht. Doch für ein paar Wochen konnten sie sich nun auf eine angenehme Temperatur einstellen.
Das Notizbuch aus Millers Hosentasche hatte nicht allzu viel hergegeben, die Seiten waren von Verwesungsflüssigkeit verklebt. Theresa hatte es in den Dampfabzug gelegt; wenn sich dadurch die Seiten voneinander lösen ließen, konnte die forensische Lichtquelle vielleicht die Schrift unter den Flecken sichtbar machen.
Theresa trank ihren Kaffee aus, fuhr den Computer hoch, drehte ihren Stuhl zur anderen Arbeitsfläche und befestigte die zerfallenden Hemdfasern auf einem Glasobjektträger. Nach etwa zwei Sekunden stand für sie fest, dass die Fasern Baumwolle waren.
Theresa drehte sich zurück zu ihrem Mikroskop, um sich einige Notizen zu den Baumwollfasern zu machen.
»Stammt das von deinem lange verschollenen Torso-Opfer?« Don Delgado, der DNA -Analyst, schwang ein langes Bein über die Ecke ihres Arbeitsplatzes. Dunkle Augen in einem olivenfarbenen Gesicht beobachteten, wie sie die Linse auf eine höhere Vergrößerung einstellte.
»Es hat sich also schon herumgesprochen.«
»Schneller, als ein Strafverteidiger die Zulassung von Beweisen ablehnen kann«, bestätigte er. »Du denkst also, der Typ, den Ness damals nicht fassen konnte, ist dafür verantwortlich?«
»Ich glaube, du bist zu jung, um überhaupt zu wissen, wer Eliot Ness war.«
Don stellte sein Bein zurück auf den Boden. »Mal langsam, Theresa, du bist nur ein paar Jahre älter als ich.«
»Elf«, murmelte sie, den Kopf immer noch über das Mikroskop gebeugt.
»Du hast nachgesehen?«
»Warte, bis du vierzig wirst. Dann bekommen Zahlen plötzlich eine ganz neue Bedeutung.«
»Tatsächlich?«
»Zum Beispiel ist letzte Woche über Nacht mein Hintern abgesackt. Ich bin ins Bett gegangen, alles war in Ordnung, am nächsten Morgen wache ich auf, und meine Pobacken liegen auf meinen Schenkeln hinten auf.«
»Soll ich mal nachschauen?«, fragte Don scherzhaft.
»Wenn Sport und Diäten schon nichts helfen, dann kannst du auch nichts tun.«
»Darf ich es trotzdem mal versuchen?«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu.
»Ruft dich dieser Unterhändler immer noch an?«
Ein zweiter böser Blick. Die Tochter des Verwaltungschefs war gerade fünfundzwanzig geworden. Rasch wechselte Theresa das Thema. » Wie auch immer , Frank und seine Partnerin haben über das Bauamt herausgefunden, dass das Gebäude an der Pullman Street 1933 errichtet wurde. Ein gewisser Arthur Corliss, der im Eisenbahngeschäft tätig war, war der Besitzer und vermietete die Büros, acht Einheiten, vier auf jedem Stockwerk. Danach fuhren Frank und Angela zur Western Reserve Historical Society, um die damaligen Telefonbücher durchzugehen. Staubige Telefonbücher, wie er mir vorgejammert hat, die die Mieter dieser Adresse auflisten.«
»Ich wusste nicht mal, dass es 1935 so etwas schon gab. Sehr interessant«
Theresa verzeichnete die Originalfarben der Baumwollfasern – Blau und Braun – ebenso wie die getrocknete Verwesungsflüssigkeit, von der die Fasern überzogen waren. »Sie haben eine Liste mit Büronummern aufgetrieben, aber es gibt keine Möglichkeit mehr herauszufinden, wie die Büros durchnummeriert waren. Der Besitzer hatte Büro 1, doch wir wissen nicht, ob sich das im Erdgeschoss oder im oberen Stockwerk befand und wo dort genau. Abgesehen vom Büro des Besitzers gab es noch ein Architekturbüro, einer von denen hieß Metesky, und ein Medium. Also jemand, der mit Toten spricht. Ach ja, und einen Ernährungsberater namens Louis Odessa.«
»1935 gab es schon Ernährungsberater ?«
Theresa untersuchte einen Glasträger mit einer Faser von den Socken des toten Mannes. Wolle. »Dass die Amerikaner so gesundheitsbesessen sind, fing schon in den Zwanzigerjahren an. Bis dahin hatte noch nie jemand etwas von einer ausgewogenen Ernährung oder der Vorstellung gehört, dass man auch ab- anstatt zunehmen könnte oder dass Küchen sauber sein sollten. Außerdem waren das die Goldenen Zwanziger. Allen ging es gut, und neue Ideen wurden mit offenen Armen begrüßt, als die Menschen das Verlangen verspürten, sich kultiviert und kosmopolitisch zu geben. Bis zum Börsencrash 1929
Weitere Kostenlose Bücher