Flammenbraut
natürlich. Danach aß man weiter das, was zur Verfügung stand.«
»Hast du einen Abschluss in Geschichte oder so?«, fragte Don.
»Für meine Mutter gibt es nur zwei Fernsehkanäle – das Food Network und den Discovery Channel.«
»Okay, ihr könnt also nicht genau bestimmen, in welchem der Büros die Leiche nun gefunden wurde. Was hat der Anthropologe gesagt?«
Der Doktor war nach seinen Vormittagsvorlesungen von der Kent State University angereist, um sich mit Theresa zu beraten. »Er sagt, der Mann wurde fein säuberlich enthauptet, ohne auch nur einen Knochen anzukratzen. Das ist gar nicht so leicht, vor allem, wenn das Opfer dabei noch lebt.«
»Ist das die Todesursache?«
Theresa hoffte es nicht. Die Vorstellung, dass James Miller bei Bewusstsein war, während er geköpft wurde, ließ sie schaudern. Doch sie rief sich schnell zur Ordnung. Um ihren Job zu machen, durfte sie sich nicht die letzten Sekunden eines Opfers vorstellen. »Es könnte auch eine andere Todesursache geben, wie Gift oder Ersticken, etwas, das keine Spuren an Kleidung oder Knochen hinterlässt. Vielleicht kann uns die Toxikologie hier weiterhelfen. Zumindest sollten sie Schwermetalle im Haar finden oder in dem pflaumenartigen Ding, zu dem der Magen geschrumpft ist.«
»Igitt. Du weißt, dass Leo schon mit Court TV telefoniert hat?«
Theresa blickte vom Mikroskop auf. »Oh nein.«
»Oh doch. Und mit Unsolved Mysteries . Er hat sie vorgewarnt, jetzt warne ich dich vor, dass du dich bedeckt halten sollst. Leo wird so schnell wie möglich Ergebnisse wollen, am besten schon gestern, damit er mit den schönen neuen Informationen vor der Kamera glänzen kann.«
»Besser er als ich.«
»Mach dir darum keine Sorgen. Leo ist klug genug zu wissen, dass die Kamera dein hübsches Gesicht viel lieber sehen würde als seines. Er wird dich im Keller einsperren lassen, für den Fall, dass irgendwelche Hollywood-Prinzen anrufen.«
»Ich und die Ratten.«
»Ich werde dich retten«, versprach Don.
Theresa verabschiedete sich am Abend von einem rauchenden Empfangsmitarbeiter auf der Laderampe und ging durch die kühle Nacht zu ihrem Auto. Sie hatte den letzten Stellplatz am äußersten Ende des Parkplatzes erwischt, neben einem kleinen Gebüsch zwischen der Gerichtsmedizin und der medizinischen Fakultät des Universitätskrankenhauses. Der Stellplatz lag vollkommen im Dunkeln, da das benachbarte Gebäude die Straßenlaternen verdeckte.
Theresa hatte den September immer geliebt, den Monat ihrer Geburt, das Ende der feuchtheißen Sommertage, der Beginn eines neuen Schuljahres, was für einen Bücherwurm wie sie immer eine Freude gewesen war. Sie atmete tief ein, um den Staub von 1935 aus ihren Nebenhöhlen zu bekommen. Ein anderes Zeitalter. Was hatte Clevelands erster Serienmörder wohl für Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Polizei gehabt? Niemand konnte wohl damals zur Gänze erfassen, womit man es da zu tun hatte.
Die breite Masse fühlte sich einfach belagert, angegriffen von einem gesichtslosen Monster, das in den Schatten lauerte, ein Phantom, mit dem man den Kindern einen Schrecken einjagen konnte, damit sie sich gut benahmen. Eine Schauergeschichte für ein Märchenbuch, nicht für die Zeitung.
Theresa zog ihren dicken Pullover enger um sich. Die Polizei war die Ermittlungen wie bei jedem anderen Verbrechen auch angegangen, hatte nach Männern gesucht, die mit den Orten, an denen die Leichen gefunden worden waren, in Verbindung standen, Männer mit Einträgen im Strafregister und einem dokumentierten Hang zur Gewalt, Männer, die als »pervers« galten – damals ein viel umfassenderer Begriff als heute. Das zweite Opfer, eines der wenigen identifizierten, Edward Andrassy, war möglicherweise bisexuell veranlagt gewesen, da ihm Gerüchte über Homosexualität anhafteten. Auf der anderen Seite hatte er auch als Schürzenjäger gegolten. Damit war für die Polizei die Jagd auf »Perverse« und andere Menschen eröffnet, die außerhalb der gesellschaftlichen Normen lebten. Vieles hatte sich verändert in den letzten fünfundsiebzig Jahren. Wenn die Ereignisse aus den Dreißigerjahren heute geschähen, mit dem Wissen über die unzähligen Serienmörder, würde die Polizei nach jemandem mit wenigen oder gar keinen Vorstrafen suchen, einem Mann mit einem festen Job, nichtsahnenden Nachbarn und einem unauffälligen Äußeren, der auch sonst darauf bedacht war, nicht groß in Erscheinung zu treten.
Heute war es anders, aber nicht
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