Flammenbraut
können, der Kerl hat schließlich quasi alles offen vor den Augen der Stadt getan! Die, die hier operieren, sind um einiges schlauer.«
James wartete, bis Walter wieder von seinem Sandwich abgebissen hatte, und sprach leise weiter. »Intelligenz hat vielleicht gar nichts damit zu tun. Du weißt, dass Burton die Wahl zum Bürgermeister gewinnen wird, und er baut seinen Wahlkampf auf der Polizeikorruption auf. Selbst ohne Ness werden die Leute auffliegen, und ich will nicht dazugehören.«
Walter leckte sich die Finger ab und zwinkerte der Bedienung zu. »Ich verstehe dich nicht, Jimmy. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmst du es mit einem Betrunkenen mit einer Kanone auf, der seine Frau verprügelt, aber kaum plustert sich ein Politiker ein bisschen auf, fängst du an zu zittern.«
James hatte keine Ausbildung, keine Familie, die ihm aushelfen konnte, und die Army hatte kein Geld, um Leute wieder zurückzunehmen. Er sah sich schon in der Schlange der hungrigen Männer warten. »Ich darf meinen Job nicht verlieren.«
Walters weiches Gesicht wurde noch weicher, und er schüttelte den Kopf. Er verstand es, wirklich. Walter war kein schlechter Kerl. Er war nicht grausam, liebte seine Frau trotz der großen Sprüche, die er ständig über Frauen machte, war ein guter Vater. Er hätte James gegen jeden Verbrecher den Rücken gedeckt … wenn der ihm nur ausreichend vertraut hätte, um sich umzudrehen.
Sein Partner beugte sich vor, als ob er James’ Hand tätscheln wollte. »Es ist Wahljahr, James. Die Typen sagen so etwas immer in einem Wahljahr. Und nach der Wahl sieht dann alles ganz anders aus. Er kann nicht die gesamte Polizei auflösen, weshalb er sich auf die großen Fische konzentrieren wird. Er wird ein paar Captains feuern, dann sind alle beruhigt, und es geht weiter wie zuvor. Typen wie du und ich werden immer hier sein.«
Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und stand auf; warum auf eine Rechnung warten, die nicht kommen würde. James durchsuchte seine Taschen – fünfundsechzig Cents. Fünf davon ließ er als Trinkgeld auf dem Tisch zurück oder als Absicherung dagegen, vollkommen aufzugeben. Mehr konnte er nicht tun im Kampf um seine Seele.
Dann folgte er dem breiten Rücken seines Partners nach draußen zum Wagen und dachte: Es gibt kein du und ich. Es gibt kein ich und irgendjemand. Es gibt nur mich.
Walter benutzte eine der blauen Sprechsäulen, die an jeder zweiten Straßenecke installiert waren, um sich zu melden. Als junge Detectives stand ihnen keiner der neuen Streifenwagen mit Funk zur Verfügung. Sie hätten zum Revier zurückfahren können, doch Walter war lieber draußen, als in dem verrauchten, engen Gebäude herumzuhängen. James ging es genauso.
Der Herbst war gekommen, doch der Geruch nach Benzin und Marktständen überdeckte den Duft des Laubs. Eine Hupe ertönte. James beobachtete eine hübsche junge Frau, die die Straße überquerte, sah zu, wie ihr Rock ihre Schenkel umspielte. Schon komisch, wie die Säume nach den gewagten Flapper-Kleidern des letzten Jahrzehnts wieder nach unten gewandert waren. Ihm wäre es lieber gewesen, sie wären noch kürzer geworden. Hatte die Krise das Land ernüchtert? Glaubten die Amerikaner, dass sie die Depression wegen ihres lockeren Lebensstils in den Zwanzigerjahren selbst verschuldet hatten?
Ein Jahr zuvor war eine Frau – oder besser gesagt, Teile einer Frau – am Ufer drüben in Euclid angeschwemmt worden, in einem anderen Revier. Ab und an fragte sich Walter laut, mit was für einem Perversen sie sich wohl abgegeben hatte, um so zu enden. Das Opfer war bisher nicht identifiziert worden, der Fall immer noch ungelöst. Wenn die Polizei der Stadt Eliot Ness nicht brauchte, warum konnte sie dann ein solch brutales Verbrechen nicht aufklären? Nein, das moderne Zeitalter war angebrochen, und James wollte auf seiner Welle mitreiten, anstatt die Beine in den Boden zu stemmen und zu versuchen, es zu bremsen.
Da ließ sich Walter noch enthusiastischer als sonst in den Wagen fallen. »Das wirst du nicht glauben.«
5
Freitag, 3. September
Die bizarren Umstände von James Millers Tod führten nicht dazu, dass er in der Gerichtsmedizin mit oberster Priorität behandelt wurde. Er war nicht der Einzige, den man in den letzten vierundzwanzig Stunden tot aufgefunden hatte, weshalb Theresa den ganzen Vormittag damit verbrachte, die Kleidung zweier nicht in Zusammenhang stehender Selbstmorde zu untersuchen, um dann ins Labor zurückzukehren,
Weitere Kostenlose Bücher