Flammenbucht
drang ein Wimmern, das Klagen eines Wahnsinnigen. Das weiße Licht jedoch glitzerte noch die halbe Nacht auf dem Wasser. In seinem Glanz schimmerten die tangbesetzten Mauern des Hafenbeckens, als wären sie aus Silber gegossen. Die Gischt schäumte und geiferte wie ein Tier. Wellen zerrissen die Wasseroberfläche, und ein Körper wurde aus den Fluten empor geschwemmt: ein Leichnam, sein Kopf zerborsten, seine Glieder zertrümmert. Das Wasser spülte ihn zu einem Holzsteg unweit der Speicherhallen; und jede neue Welle schmetterte den Schädel mit hohlem Laut gegen die Balken - ein höhnischer Klang, als wollte das Silbermeer den Toten verspotten.
Ein grauer, verregneter Tag hing über der Stadt Galbar Are. Regentropfen tippten gegen die Butzenscheiben der Hafentaverne, als begehrten sie zögerlich Einlaß. In der Gaststube war allmählich Leben eingekehrt; die meisten Gäste waren erwacht und hatten sich zur ersten Tagesmahlzeit im Schankraum eingefunden. Wieder einmal kredenzte die Wirtin eine schmackhafte Milchsuppe; diese stieß vor allem bei den Gästen aus Troublinien auf helle Begeisterung. Sowohl Großmerkant Aelarian als auch sein Leibdiener Cornbrunn hatten bereits um Nachschlag gebeten. Während Cornbrunn sich verzückt über seinen Teller beugte, schweifte Aelarians Blick immer wieder zum Nebentisch hinüber, wo mit bleichem Gesicht Rumos Rokariac saß. Sein Suppenteller war unberührt; statt dessen nippte der Priester lustlos an einem Teekrug.
»Ihr seid nicht gerade von großem Appetit beseelt«, scherzte Aelarian nach einer Weile. »Hat Euch die Nacht so sehr auf den Magen geschlagen? Es war nicht zu überhören, daß Euer Schlaf nicht der beste war. Die ganze Zeit seid Ihr mit knarrenden Stiefeln im Zimmer auf und ab geschritten und habt Selbstgespräche geführt.« Rumos schenkte ihm einen verächtlichen Blick. »Anstatt an meiner Tür zu lauschen, solltet Ihr besser Vorbereitung für Eure baldige Rückkehr nach Troublinien treffen. In Kürze werde ich meine Reise gen Westen fortsetzen - und zwar ohne Euch.«
Aelarian setzte eine beleidigte Miene auf. »Ihr wollt mich auf Morthyl zurücklassen? Das schmerzt mich! Bin ich Euch in den vergangenen Wochen so sehr zur Last gefallen?«
Rumos setzte geräuschvoll seinen Teekrug ab. »Glaubt Ihr, es sei mir entgangen, daß Ihr jeden meiner Schritte von ein paar dahergelaufenen Straßenkindern überwachen laßt? Diese schmutzigen Bälger verfolgen mich durch die gesamte Stadt, lauern mir in jeder Gasse auf, spähen mir bis in den letzten Winkel nach!« Aelarian konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Seine treue Verbündete, die Käppnerin, leistete hervorragende Arbeit. Sie hatte ihre Enkelin und deren Spielkameraden angewiesen, Rumos im Auge zu behalten; zudem hatte sich der Sohn der Käppnerin - ein Söldner in Fürst Perjans Heer - in der Burg Galbar über den Zauberer umgehört. Dort war Rumos häufig zu Gast, um die Kapitäne der fürstlichen Handelsflotte auf ein geheimnisvolles magisches Ritual vorzubereiten. Offenbar war es dem Priester gelungen, sich bei Fürst Perjan als Berater für die Rückeroberung Fareghis anzudienen.
»Ihr seht Spukbilder, mein Bester«, behauptete Aelarian keck. »Warum stört Ihr Euch an einer Horde spielender Kinder? Freut Euch lieber, wie unbeschwert diese unschuldigen Geschöpfe in den Tag hineinleben, obwohl die Versorgungslage auf Morthyl katastrophal geworden ist. Selbst der Schiffsweg über Vrynn ist inzwischen aufgrund der Stürme unpassierbar. In einigen Dörfern wird bereits das Getreide knapp.«
»Die Schiffswege werden bald wieder befahrbar sein«, fauchte Rumos. »Eidrom von Crusco wird nicht mehr lange über Fareghi herrschen.« Er funkelte Aelarian mißtrauisch an. »Doch warum rede ich überhaupt mit Euch? Ihr wollt mich lediglich aushorchen! Der Gildenrat hat eine große Dummheit begangen, Euch als Spion auf mich anzusetzen. Wenn Ihr in Taruba ankommt, richtet den Ratsherren aus, daß ich sie eines Tages für diese Anmaßung bestrafen werde!«
»Ist es nicht Strafe genug, wenn Ihr den Großmerkanten zu ihnen zurückschickt?« schaltete sich Cornbrunn in das Gespräch ein. »Die Ratsherren müssen ungemein froh gewesen sein, ihn eine Weile außerhalb Troubliniens zu wissen.«
Rumos überhörte den Einwurf des Leibdieners. »Manchmal wünschte ich, Ihr würdet begreifen, welch qualvollen Weg ich gegangen bin, Aelarian! Ich bin damals nicht auf halber Strecke stehengeblieben, so wie Ihr - oder wie die
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