Flammenbucht
erhellte den Gang; sie hatten ihre Öllampen gelöscht. Nur die goldenen Mondsicheln ihrer Handschuhe schimmerten in der Dunkelheit. Kein Wort wurde gesprochen; schweigend warteten sie auf Tyras Rückkehr.
Schließlich hallten Schritte im Gang, und die Umrisse einer schmächtigen Gestalt waren zu erkennen. Es war Tyra! Die junge Frau schien in großer Furcht, preßte die rechte Hand gegen die Brust.
»Sadris!« Ihre Stimme klang erschöpft. »Wo bist du? Ich kann dich nicht erkennen… Wer sind die anderen? Wer…?«
»Sei still!« zischte ihr Sadris aus der Finsternis entgegen. »Ich habe alle Mondjünger des Spektakels zusammengerufen. Und nun sprich! Ist es dir gelungen, den Wandelbaren. ..«
»Er lebt!« stieß Tyra hervor. »Ich… ich konnte es nicht tun. Ich zögerte, als ich in seine Nähe kam. Er ist doch noch ein Kind, so jung… ich konnte ihn nicht töten. Und seine Maske - sie spürte meine Absicht.« Sie streckte Sadris ihre blutende Hand entgegen. »Sie hat mich verletzt, trotz des Gewebes unseres Meisters.« Sadris stieß ein wütendes Schnauben aus. »Du hast jämmerlich versagt! Dies war unsere einzige Gelegenheit, den Jungen aufzuhalten. Nun wird Laghanos den Weltengang antreten. Dann wird Mondschlund uns nicht mehr beschützen können.«
Ein erschrockenes Flüstern ging durch die Reihen der Mondjünger. Sie drängten sich um Sadris, fuchtelten erregt mit den Händen umher, und die Mondsicheln ihrer Handschuhe schwirrten durch die Dunkelheit wie aufgescheuchte Leuchtkäfer.
»Beruhigt euch!« befahl Sadris. »Eine letzte Möglichkeit bleibt uns noch!« Seine Stimme nahm einen grausamen Tonfall an. »Komm her, Tyra! Zeige uns deine Prägungen!«
Verunsichert schritt sie auf Sadris zu, schlug den Ärmel ihres Gewandes zurück. Er packte ihren Arm. Die Narben ihrer Haut waren undeutlich im Glanz der Mondsicheln zu erkennen.
»Wann soll deine Beschlagung stattfinden, Tyra?«
Sie senkte den Blick. »Der Haubenträger wollte mich schon in den kommenden Tagen mit dem Gefüge vereinen.«
Sadris ließ ihren Arm sinken. »Das könnte unsere Rettung sein! Wenn du zu einer Beschlagenen wirst, Tyra wenn du deine Hand opferst, um Laghanos in die Sphäre zu folgen … niemand würde in einer Beschlagenen eine Mondjüngerin vermuten. Du könntest Laghanos in der Sphäre aufhalten, ihn dort zu Fall bringen.« »Er wird zu mächtig sein«, gab einer der Mondjünger zu bedenken. »Wenn er mit dem Gefüge vereint ist, wird er die Sphäre beherrschen!«
»Der Junge wird erst lernen müssen, die Sphärenströme zu bändigen«, widersprach Sadris. »Diese Zeit reicht aus, um ihn zu beseitigen!« Er packte Tyra an der Schulter, zog sie zu sich heran. Sie erkannte sein aufgedunsenes Gesicht, seinen Vollbart, den grausamen Glanz seiner Augen. »Du wirst deinen Fehler wiedergutmachen! Laghanos muß sterben! Wenn du ein zweites Mal versagst, sind wir verloren!« Sie wich vor ihm zurück. »Nein, Sadris… das kannst du nicht zulassen! Du hast gesagt, daß Mondschlund mich vor der Beschlagung bewahren wird!«
»Du mußt dieses Opfer erbringen! Zwar wäre es mir lieber, wenn ein Mondjünger mit größerem Mut diese Aufgabe übernähme, doch du bist die einzige, die nicht das Mißtrauen des Haubenträgers erregen wird. Kehre zum Heiligen Spektakel zurück; sprich mit Darsayn und bitte ihn, deine Beschlagung vorzuziehen. Doch denke daran: wir werden dich im Auge behalten. Ich werde nicht zulassen, daß du nochmals versagst und uns…« Er hielt mitten im Satz inne, starrte über Tyras Schultern in den Gang. Mehrere Augenpaare leuchteten in der Finsternis auf; giftgrün sprühte der Zorn aus ihnen. Tapsende Schritte auf dem Höhlenboden. Und ein helles, boshaftes Kichern aus zahlreichen Kehlen… »Die Bosnickel!« stieß Sadris hervor. »Sie haben uns aufgespürt!«
Flink hoben die Mondjünger ihre Hände, versuchten sich vor der Gefahr zu schützen. Zu spät! Wurfmesser zischten durch die Luft; einige trafen klirrend gegen die Felswand, andere fanden ihr Ziel. Schreiend gingen mehrere Mondjünger zu Boden. Die Mondsicheln ihrer Handschuhe erloschen.
»Flieht!« schallte Sadris' Stimme durch den Gang. »Laßt euch nicht einfangen!«
Tyra hörte ein Wurfmesser dicht an ihrem Kopf vorbeifliegen. Sie duckte sich, umklammerte das Tuch in ihrer Hand mit festem Griff, beschwor Mondschlunds Kräfte, um ihre Gestalt zu verhüllen.
»Sie sind dir gefolgt!« Sadris stand dicht hinter ihr, spie Tyra seine Worte ins Ohr.
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