Flammenbucht
geheimnisvoller Kräuter Zutritt zu einem anderen Reich - zu der Stadt Myndras. Ein Ort ewiger Freuden. Mandras und Myndras teilten sich denselben Platz in unserer Welt. Und doch waren sie voneinander getrennt. Nur jene, die ihre Sinne Myndras öffneten, konnten diese Stadt betreten.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »So ähnlich ist es auch mit unserer Stadt. Vara ist geteilt in eine diesseitige Stadt und eine verborgene. Die in der Tiefe liegt. Die nur auf verschlungenen Pfaden zu erreichen ist.«
So etwas hatte ich befürchtet.
»Und Ihr zeigtet meinem Großvater den Weg dorthin«, folgerte Baniter, »mit Hilfe Eurer wundersamen Essenz…«
Sardresh sprang empört auf. »Ihr begreift nichts! Nichts!« Wütend griff er nach dem Döschen, als fürchtete er, Baniter könnte es ihm fortnehmen. »Tief unter Vara liegt eine zweite Stadt. Eine ältere Stadt. Sie wurde vor über zweitausend Jahren von einem Zauberer aus Gyr gegründet. Varyn der Seefahrer. Er kam mit seinem Schiff über das Silbermeer gefahren«
Baniter wurde ungeduldig. »Es ist nie bewiesen worden, daß Vara von dieser Legendengestalt erbaut wurde.« »Er schuf die Verliese«, beteuerte Sardresh. »Die Kanäle. Die dunklen Gänge. Die Wunder. Die Schrecken.« Er hämmerte sich mit der Faust gegen die magere Brust. »Ich habe sie gesehen. Und Euer Großvater ebenso. Das Verlies der Schriften!«
Offenbar hat er Norgon in den Dom von Vara geführt,
vermutete Baniter.
Die Katakomben des Doms sollen in der Tat viele Geheimnisse bergen. Doch warum faselt Sardresh von einer ganzen Stadt, wenn es sich allenfalls um ein größeres Höhlensystem handelt?
»Was hat mein Großvater dort unten gesucht?« fragte er den Baumeister. »Und warum wolltet Ihr im Thronrat den Umbau der Stadt erzwingen?» »Wir wollten das Alte ans Tageslicht holen. Die Wahrheit. Die Macht. Die Möglichkeit. Die Freiheit, Vara zu gestalten, wie es uns beliebt. Und die Welt! Und uns selbst!« Mit geweiteten Augen wich Sardresh von Baniter zurück, bückte sich nach dem herabgefallenen Hut. »Ihr werdet es eines Tages verstehen. Wenn Ihr das Verlies gesehen habt. Wenn ich Euch dorthin führe.«
Das könnte ein interessanter Ausflug werden.
»Dieses Angebot nehme ich gerne an«, sagte Baniter. »Wann soll es losgehen?«
Sardresh stieß ein meckerndes Lachen aus. »Wenn ich es für richtig halte. Doch nicht heute! Es wäre zu gefährlich. Denn auch andere bereiten sich darauf vor, die Gänge zu erkunden. Wer weiß, was in der vergessenen Stadt auf sie wartet? Wer weiß, ob sie fündig werden?« Er setzte sich den Hut auf, warf Baniter einen irren Blick zu und hinkte zu einer abwärtsführenden Treppe. »Doch es wird Ihnen an Mut fehlen. Und an Glück. Und an Wissen. Sie werden die Schriften nicht lesen können. Ihr aber, Baniter… nun, wir werden sehen! Wir werden sehen!«
Mit einem Kichern humpelte Sardresh die Treppe hinab. Baniter erwog, ihn zurückzuhalten und weiter über seinen Großvater auszuhorchen. Doch er verwarf den Gedanken rasch.
Der ›Schwärmer‹ will mich zappeln lassen. Er will meine Neugier wecken, damit ich ihn bitte, mir auch den Rest seiner rätselhaften Geschichte zu enthüllen. Aber diesen Gefallen werde ich ihm nicht erweisen. Er wartete, bis Sardreshs Schritte verhallt waren. Dann kehrte sein Blick zu den Büchern zurück, die noch immer ausgebreitet auf dem Tisch lagen.
In welche Kreise hast du dich begeben, Norgon? Welche Ziele hast du verfolgt, als du dich mit diesem Verrückten einließest? Ich muß mit Jundala über diese Angelegenheit sprechen. Vielleicht weiß sie, wie ich dieses seltsame Treffen einordnen sollte.
Augen, so leuchtend, so grün wie Smaragde…
Gedankenverloren starrte Jundala Geneder auf die Wellen, die gegen den Bug des Schiffes schwappten. Es lag im Hafen von Vara vor Anker; eine mächtige dreimastige Karacke von wohl zwanzig Schritt Länge. Die Fürstin lehnte an der Reling des Schiffes; ihr dunkelblondes Haar trug sie offen. Die Locken strichen um ihre Wangen, aufgeworfen vom Wind, der von der Meerseite her zum Land wehte. In ihrem Rücken hörte sie den Lärm des nahen Hafengebäudes; die hektischen Stimmen der Händler, die Pfiffe der Kahnleute, das Getrappel der Kutschenpferde. In keinem Hafen Sithars wurden tagtäglich so viele Waren um- und eingeladen; stündlich legten Schiffe aus Persys und Condul, Phaly und Throdot an, und auch wenn der Fall des Leuchtturms zu einem Rückgang des Warenverkehrs geführt
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