Flammenbucht
Eurem Hutstand vorbei, denn dies ist die einzige Treppe, die zu den oberen Stadtvierteln führt.«
Die Käppnerin blinzelte erstaunt mit den Augen, als das Tier mit einem Satz von der Hand des Troubliniers auf den Tisch sprang. Neugierig schnüffelte es an den Hauben und Kappen.
»Nehmt Eure Ratte vom Tisch«, zeterte die Käppnerin. »Sie wird meine Ware bekoten!«
Aelarian Trurac strich sich amüsiert über den Bart. »Aber das ist keine Ratte, ebensowenig wie eine Area ein Hut ist. Dieses possierliche Wesen ist ein Kieselfresser, ein Tier aus den troublinischen Mooren. Sein Name ist Grimm.« Er machte ein schnalzendes Geräusch. Grimm ließ augenblicklich von der Ware der Käppnerin ab und blickte zu seinem Herrn auf.
»Wie immer es auch heißt, es hat zwischen meinen Hauben nichts verloren!« keifte die Frau. »Ich habe ihn lustige Kunststücke gelehrt«, verteidigte der Großmerkant seinen Schützling. Er streckte den Zeigefinger aus und ließ ihn über dem Kieselfresser kreisen. Grimm hob die dünnen Vorderpfoten, stellte sich auf die Hinterbeine und machte einen Purzelbaum. Drei-, viermal wiederholte er den kühnen Sprung, bis er ausglitt und um ein Haar vom Tisch gekullert wäre. Doch er konnte sich im letzten Moment an der Tischkante festklammern. Schnaufend blinzelte er zu seinem Herrn auf.
Der strenge Blick der Käppnerin hatte sich während Grimms eindrucksvoller Darbietung mehr und mehr gemildert. Nun konnte sie sich ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen. »Lustiges Bürschlein«, gab sie zu. »Es würde meiner Enkelin gefallen.«
»Ich bin für eine Weile in der Stadt«, verriet Aelarian. »Falls Ihr wollt, werde ich Eurer Enkelin alle Possen vorführen, die ich Grimm beigebracht habe.« Er nahm den Kieselfresser behutsam zurück auf die Hand. »Sagt mir, wie lange verkauft Ihr schon Eure Waren an dieser Stelle?«
»Seit vierzig Jahren«, brummte die Käppnerin versöhnlich, »und davor führte meine Muhme den Stand. Es ist ein guter Platz, ja, das ist wahr. Das Meer ist hübsch anzusehen, wenn die Sonne darauf scheint; und fällt Regen, ist es mir auch recht. Da drüben kann man an guten Tagen bis nach Thaira hinüberblicken. Und dort« - sie wies westwärts - »sieht man den Leuchtturm. Wenn es Nacht wird, zaubert er die schönsten Farben auf das Wasser.« Aelarian wandte den Kopf in die gewiesene Richtung. Er erkannte eine Inselkette, die sich von Morthyls Nordküste bis zum Horizont erstreckte: Riffe und Klippen, hoch aufragende Eilande, zerklüftete und zerschmetterte Felsen. Die letzte und größte Insel war nur als Punkt am Horizont zu erkennen - die Insel Fareghi, auf deren Felsen der Seefahrer Varyn seinen mythischen Leuchtturm errichtet hatte.
»Ist es wahr, daß die Lichter des Turms erloschen sind, seit die Insel besetzt wurde?« fragte Aelarian. Die Käppnerin schüttelte den Kopf. »Nein, sie brennen noch; nicht so häufig wie früher, doch sie brennen. Aber die Farbe hat sich verändert.« Sie schürzte die wulstigen Lippen. »Vierzig Jahre lang habe ich die Feuer beobachtet. Mal flackerten sie rot, mal blau, mal gelb - ich habe dem Farbenspiel stets gern zugesehen. Nun aber brennt im Turm ein anderes Licht, weiß und grell und kalt. Wenn man zu lange die Augen darauf richtet, fangen sie an zu tränen. Glaubt mir, der Turm hätte niemals in die Hände der Eindringlinge fallen dürfen.« Aelarian konnte seine Neugier kaum zurückhalten. »Ich hörte, daß Euer Fürst Perjan Lomis plant, die Insel zurückzuerobern.«
»Ja, es wird eine Schlacht geben«, bestätigte die Käppnerin. »Ihr seht ja selbst die Kriegsschiffe im Hafen, und oben in der Burg versammelt der Fürst die Krieger Morthyls. Auch mein Sohn ist zu den Waffen gerufen worden. Er soll mitkämpfen, wenn das Heer nach Fareghi übersetzt.« Sie wackelte traurig mit dem Kopf. »Eine böse Schlacht wird das geben. Aber der Leuchtturm ist gegen uns. Kein Schiff kann nach Fareghi gelangen, wenn der Turm es nicht will. Die Klippen«, sie wies auf das Wasser hinaus, »kein Mensch hat sie je gezählt. Das Meer ist gefährlich, und der Turm ist gegen uns!«
»Glaubt Ihr, daß Morthyls Flotte untergehen wird?« fragte Aelarian vorsichtig.
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Doch ich habe Angst um meinen Sohn und um Morthyls Zukunft. Es wird viel von den Echsen erzählt, die Gyr und Candacar erobert haben. Man sagt, daß sie auch nach Morthyl kommen werden.« Sie tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
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