Flammenbucht
»Schreckliche Zeiten sind das, schreckliche Zeiten. Viele haben in den letzten Wochen ihr Leben gelassen. Zwei Schiffe liefen vor Galbar Are auf Grund; das Meer hat sie zertrümmert. Die Leichen der Seeleute wurden an die Küste geschwemmt, in einem Netz aus fauligem Seetang. Ihre Gesichter waren nicht mehr zu erkennen, von der Kraft der Wellen zerschmettert.«
»Dann wagt es wohl niemand mehr, das Silbermeer zu befahren, solange Fareghi besetzt ist«, mutmaßte Aelarian.
»Niemand, der noch einen Funken Verstand besitzt«, schnaubte die Käppnerin. »Niemand außer den Männern aus Rhagis!«
Aelarian blickte sie aufmerksam an. »Rhagis… ist dies nicht ein Dorf ganz in der Nähe?«
»Ein Fischerdorf«, bestätigte die Käppnerin, »westlich von Galbar Are. Ungehobelte, freche Kerle leben dort. Sie sind lebensmüde! Während unsere Fischer dicht bei der Küste bleiben, fahren die Männer aus Rhagis selbst beim wildesten Sturm noch aufs Silbermeer hinaus.« Sie wischte sich den Speichel aus den Mundwinkeln. »Sie sind nur selten in der Stadt, um ihren Fisch zu verkaufen, und dann sind sie schwer zu finden; den Marktplatz dürfen sie nämlich nicht betreten, weil sie der Hafenzunft die Steuern nicht bezahlen. Neulich habe ich sie außerhalb des Hafens gesehen. Ich wollte ein paar Dunkelschollen erwerben, um meiner Enkeltochter eine Suppe zu kochen, doch die gab es nur bei den Fischern aus Rhagis. Der Preis, den sie mir nannten, war unverschämt. Das sei wegen des Turms, behaupteten sie, es sei gefährlich, aufs Silbermeer hinauszufahren und die Schollen zu fangen. Zwölf Kupfermünzen mußte ich bezahlen!« Wütend schlug sich die Käppnerin auf die fetten Schenkel. »Dabei sind diese Halunken schmutzig, haben ungepflegte Barte und stinken nach Schnaps. Ihre Areas sind halb zerrissen. Ich habe ihnen angeboten, neue Hauben zu nähen, doch sie lachten mich aus und sagten, daß sie auf Waren aus der Stadt verzichten können. Eingebildetes Pack! Ihre Töchter kleiden sich wie Dirnen in halb zerfetzte Fischernetze, und die Söhne versaufen das Geld in den Tavernen!«
»Das ist ja ungeheuerlich«, empörte sich der Großmerkant. »Aber sagt, wo finde ich dieses scheußliche Dorf?« Die Frau rümpfte die Nase. »Rhagis liegt sechs Acker westlich von Galbar Are. Ein Weg führt an der Küste entlang. Ihr könnt es nicht verfehlen. Es gibt dort eine Spelunke; sie heißt
Zur roten Kordel.
Aber kehrt besser nicht dort ein. Nichtsnutze und Saufköpfe treiben sich in der Spelunke herum und vertreiben sich die Zeit mit Schnaps und Messerstecherei.«
»Ich werde diesen Sündenpfuhl tunlichst meiden«, versprach Aelarian Trurac. »Doch nun danke ich Euch für die Auskunft. Ihr wart mir eine große Hilfe, schöne Dame.«
Die Käppnerin stieß ein zufriedenes Schnaufen aus.
»Nur eine letzte Frage sei mir vergönnt.« Aelarian hielt die Area empor, die er noch immer in den Händen hielt, während er der Käppnerin ein bezauberndes Lächeln schenkte. »Und bitte antwortet mir nicht als die tüchtige Händlerin, die Ihr seid, sondern schlichtweg als Frau: Meint Ihr, daß diese wunderschöne Haube mir steht?« Galbar Are war die Stadt der Treppen. Niemand hatte sie je gezählt, die in den Fels geschlagenen Stufen, auf denen man die höher gelegenen Stadtviertel erreichen konnte. Denn Galbar Are war auf den Vorsprüngen eines steil aufragenden Kalkfelsens errichtet worden. Schmale Straßenzüge schlängelten sich am Felsen entlang, umfaßt von niedrigen Steinmauern. Von allen Ebenen der Stadt konnte man auf den Hafen und das Wasser herabblicken, das an diesem Vormittag grau und unruhig wirkte.
In den unteren Stadtvierteln lebte das einfache Volk; Handwerker und Hafenarbeiter, Fischer und Seefahrer. Je weiter man aber die Treppen emporstieg, desto prächtiger wurden die Häuser. Hier wohnten die Kaufleute, die Besitzer der Silberminen, die Schiffseigner und Hafenkomture. Hoch oben auf der Spitze des Felsens thronte die Burg Galbar mit ihren vier Türmen, erbaut aus Kalkstein - der Sitz des Fürsten Perjan Lomis. Unterhalb der Burg lag das Viertel der Träumer, eine Ansammlung verfallener Ruinen. Es war der älteste Teil Galbar Ares, errichtet von den gyranischen Seeherren, die Morthyl einst beherrscht hatten. Nachdem sie im Südkrieg von der Insel vertrieben worden waren, hatten in den verwüsteten Häusern die Ärmsten der Stadt eine Bleibe gefunden: ausgemergelte Bettler, entlassene Silberschürfer aus den Minen von Bosjip, Alte,
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