Flammenbucht
Crusco, jenen kathygischen Baron, der aus dem Nichts gekommen war und den Leuchtturm in seine Gewalt gebracht hatte. Gerüchte gingen umher, daß ein magischer Sturm den Baron und sein Heer nach Fareghi geweht habe. In einer einzigen Nacht hatten die Kathyger die Insel besetzt, die Wächter des Leuchtturms erschlagen und ihre Leichen in die Bucht von Varynna geworfen. Man wisperte, der weiße Sand der Bucht sei seitdem dunkelrot, durchtränkt von dem Blut der Ermordeten, und selbst die Fluten des Silbermeeres vermöchten es nicht mehr auszuwaschen.
Blutiger Sand… die Handschrift der gewaltsamen Eroberung. Ashnada kannte sie nur zu gut, hatte ihre Zeichen in durchwachten Nächten oft selbst in die Finsternis gezeichnet mit bebender Hand; jener Hand, die so oft gemordet hatte, deren Finger sich noch immer im Schlaf um unsichtbare Säbel- und Dolchgriffe verkrampften, wenn die Träume sie heimsuchten. Sie träumte von den Menschen, denen sie auf einsamen Wegen die Schädel zertrümmert hatte; träumte von den Silberminen, deren Stollen sie zum Einsturz gebracht hatte, um die Bergleute zu verschütten; träumte von den Kindern morthylischer Kaufleute, die sie entführt und erdrosselt hatte, um Verzweiflung unter den Mächtigen der Insel zu säen.
Sechs Jahre lang hatten die ›Gnadenlosen‹ eine Blutspur über die Insel gezogen, ohne daß der morthylische Fürst ihrem Treiben hatte Einhalt gebieten können. Sechs Jahre lang hatten sie ihr Mordhandwerk betrieben, in der festen Überzeugung, daß Gyrs Heer die Insel bald besetzen werde. Doch das Heer war niemals gekommen. Statt dessen war ihr Versteck eines Tages von Fürst Perjans Truppen gestürmt worden. König Tarnac hatte die ›Gnadenlosen‹ geopfert, um den Frieden mit Sithar zu wahren. Perjan aber hatte sie in den Kerkern seiner Burg foltern lassen, bis zum Tag ihrer Hinrichtung. Ashnada war die einzige gewesen, die dem Strafgericht entkommen war; der Kurator Bars Balicor hatte sie befreit, hatte an ihrer Stelle eine andere Frau vor den Augen des Volks auf den Scheiterhaufen stellen lassen. Nur deshalb war Ashnada noch am Leben. »Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch, beseelt von meinem Willen«, flüsterte Ashnada in den Wind; der heilige Schwur der Igrydes, mit dem König Tarnac sie einst gesegnet hatte. Sie spürte noch Tarnacs ruhige Hand auf ihrer Schulter, spürte ihn zärtlich ihren Kopf streicheln, hörte die heisere Stimme an ihrem Ohr,
meine Schwester, meine Schwester,
die Stimme des Königs, der sie verraten hatte.
Ashnada wandte den Kopf. Jenseits des Zeltlagers war das Hinterland der Insel zu erkennen; weitgestreckte Marschen, auf denen kaum mehr wuchs als Gräser und Disteln. In weiter Ferne erhob sich das Gebirge von Bosjip, wo die Silberminen der Insel lagen. Ein holpriger Weg verband die Hauptstadt Galbar Are mit dem Gebirge; die Minen ließen sich leichter vom Süden aus erreichen.
Ashnada warf einen letzten Blick auf die Burg. Dann machte sie kehrt, um zurück zur Stadt zu gelangen. Eine steile Treppe führte unterhalb der Felsnase in die Tiefe; neben den Stufen drohte ein Abgrund, der nicht einmal durch ein Seil gekennzeichnet war. Vorsichtig stieg Ashnada abwärts, den Rand der Treppe stets im Auge. Als sie die Hälfte der Stufen passiert hatte, versperrten ihr drei Männer den Weg. Sie waren in einen heftigen Streit vertieft; schon aus einiger Entfernung vernahm Ashnada ihre erregten Stimmen, sah ihre Hände durch die Lüfte fuchteln.
»…nur beste Ware hast du uns versprochen«, hörte sie einen der Streitenden rufen, einen untersetzten Kahlkopf, »und alles, was du bringst, ist Tand! Ich habe dich gewarnt, Cyrmor. Meine Geduld ist am Ende!« »Ja, dieses Mal lassen wir dich nicht so einfach davonkommen«, hetzte der zweite Mann, dessen Gesicht durch einen zerfressenen Schnurrbart entstellt wurde. »Heute wirst du bezahlen, mein Freund, hörst du?« Der Angesprochene, ein schlanker Mann in einem dunklen Mantel, gab keine Antwort. Statt dessen stieß er seine Gegner von sich, doch diese packten ihn an den Handgelenken und rangen mit ihm. Ashnada nutzte den günstigen Moment, um sich an den Männern vorbeizustehlen. Sie war nicht geneigt, in den Streit verwickelt zu werden.
»Laß ihn nicht los«, hörte sie einen der Männer brüllen, »… dort, sein Arm! Halt ihn fest!… sieh nach, ob er ihn trägt - ja, ich sehe ihn! Nimm ihn dir! Streif ihn einfach ab!«
Gewänder raschelten. Stiefel knirschten auf den Stufen.
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