Flammenbucht
Balicor durch den Kopf. Er wußte, daß sie einem erneuten Ansturm der Weißstirne nicht standhalten konnten. Nur das Eingreifen der Klippenritter hatte den Tempel vor dem Untergang bewahrt. Doch auf die Ritter war kein Verlaß; die Fürsten, die den Klippenorden befehligten, hatten sich nur widerwillig in den Konflikt der Kirche eingemischt. Bars Balicor hatte ihre Unterstützung erzwingen müssen. Endlich hatte der Vorbeter seine Rede beendet. Bars Balicor schritt an seine Seite. Während die Gläubigen um ihn in andächtiges Murmeln verfielen, sprach er die Segensworte, um das Morgengebet zu beschließen. Doch er wirkte unaufmerksam, hing während der Zeremonie dunklen Gedanken nach.
Vor allem der Verlust seiner Leibwächterin ging ihm nicht aus dem Sinn. Ashnada war vor dreiundzwanzig Tagen spurlos verschwunden, kurz nachdem sie Prinz Uliman, den Sohn des Kaisers, nach Thax gebracht und in Balicors Obhut übergeben hatte. Seitdem war sie unauffindbar. Balicor hatte ganz Thax nach ihr durchkämmen lassen, hatte gar im Zorn demjenigen, der ihm den Kopf der Gyranerin brachte, einhundert Goldstücke versprochen. Doch niemand hatte sie gesehen, und Balicor war klug genug, um zu wissen, daß sie seinen Häschern längst entkommen war.
Ashnadas Verrat hatte ihn nicht wirklich überrascht, ja, insgeheim hatte er damit gerechnet. Als er das Amt des Hohenpriesters übernommen hatte, war seine Vereinbarung mit der Meuchlerin erloschen. Doch nun, da sie fort war, trieb Balicor die Angst um, Ashnada könnte eines Tages zurückkehren und sich für die Jahre zu rächen, in denen er sie in seine Dienste gezwungen hatte. Balicor hatte den Haß in ihren Augen gesehen. Niemand konnte ermessen, zu was diese Frau fähig war, deren bisheriges Leben allein aus Mord bestanden hatte.
Ich hätte sie schon vor Wochen beseitigen sollen. Sie weiß zuviel über mich, und ich werde schwerlich eine Leibwachefinden, die mich vor ihrer Rache beschützen kann.
Er richtete seine Gedanken wieder auf das Morgengebet. Die aufsteigende Sonne blendete ihn. Der Chor der Gläubigen, der die letzte Strophe der Liturgie intonierte, hallte über den Platz und rief ihm seine Machtfülle in Erinnerung. Er war ihr Hohepriester, Tathrils oberster Diener, und diese Tatsache erfüllte ihn mit Stolz. Als sich die Gemeinschaft der Gläubigen zerstreut hatte, rief Bars Balicor die ranghöchsten Priester in der Weihungshalle des Tempels zusammen. Sie waren allesamt Mitglieder der Bathaquar. Rumos hatte den Hohenpriester angewiesen, sie in wichtige Kirchenämter zu berufen. Einen Bathaquari hatte Balicor gar zum neuen Erzprior von Thax ernennen müssen. Obwohl sich die Priester den Anschein gaben, Bars Balicor treu zu dienen, wußte dieser nur zu gut, wessen Befehle sie tatsächlich befolgten.
Die Weihungshalle wirkte gespenstisch. Aus mehreren Schalen stieg der Rauch schwelender Zweige empor. Durch ein purpurnes Tuch unterhalb der Kuppel fiel rotes Licht in den Saal ein. Die Marmorsäule im Zentrum der Halle hatte sich durch die Raucheinwirkung verfärbt; Ruß klebte auf dem Gestein wie eine graue Haut. »Der Auserkorene«, höhnte Bars Balicor und zupfte an der Borte seiner hohenpriesterlichen Kutte, »so nennen sie ihn! Ein unerfahrener Jüngling, kaum zwanzig Jahre alt, der erst vor wenigen Kalendern die Priesterweihe erhielt. Nun will dieser Knabe der Hohepriester der Tathril-Kirche sein -ja, mehr noch: ein von Tathril Auserkorener, ein Prophet, ein Heiliger!« Erzürnt schritt er auf und ab. »Laut den Berichten unserer Späher hat Nhordukael um die fünfzehnhundert Anhänger am Berg Arnos um sich geschart, gerüstete Krieger und bewaffnetes Fußvolk. Ihr Ziel ist bekannt! Sie wollen Thax erobern, den Tempel zerstören und mich, den rechtmäßigen Hohenpriester, ermorden!«
Seine Worte schienen wenig Eindruck bei den Bathaquari zu hinterlassen. Mit gleichgültiger Miene beobachteten sie, wie Bars Balicor seine Kreise durch die Halle zog. Dies machte den Hohenpriester nur noch wütender.
»Ihr kennt die Gerüchte, die uns in den letzten Tagen erreicht haben. Angeblich hat Nhordukael die Quelle beschworen und ein uns unbekanntes Ritual abgehalten. Doch Genaues weiß niemand.«
»Nhordukael gebietet über das Auge der Glut«, erinnerte ihn einer der Bathaquari, »die Quelle des Brennenden Berges. Wenn er sie tatsächlich so gut beherrscht, wie es den Anschein hat, dann…«
»Ein Jüngling von zwanzig Jahren kann unmöglich das Auge der Glut beherrschen! Die
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