Flammenbucht
der Schriften jedoch, das sich in den Katakomben des Doms befand, hatte er nie betreten. Er hatte die mächtigen Quellen der Kirche stets gemieden. »Ich weiß um die Gefahren. Doch wenn das kaiserliche Heer den Brennenden Berg nicht einnehmen kann, bleibt uns keine andere Wahl. Thax ist ein unsicherer Ort geworden. Ich werde nicht untätig warten, bis mich Nhordukaels Weißstirne aus dem Tempel zerren.« Er wandte sich wieder der Säule zu. »Trefft alle Vorbereitungen für eine baldige Abreise nach Vara. Ich werde diese Angelegenheit selbst in die Hand nehmen.« Er machte eine herrische Geste in Richtung der Priester. »Und nun laßt mich allein! Ich habe einige Worte mit dem künftigen Kaiser Sithars zu wechseln.«
Schwarzes Tuch verhüllte die Tür der kaiserlichen Gemächer; schwarzes Tuch, durchwirkt mit Silberfäden. Auch die vier Gardisten, die neben dem Eingang Wache hielten, hatten sich in Schwarz gewandet, und ihre Gesichter waren mit Ruß geschwärzt.
Behutsam legte Jundala Geneder die Silbermünze auf das Tuch, das unter einer Säule ausgebreitet war. Es lagen bereits andere Münzen dort; der Hochadel Sithars hatte dem Kaiser die letzte Ehre erwiesen. Der Brauch stammte aus den Anfangs tagen des Südbundes. Wenn ein Mitglied des Silbernen Kreises verstarb, wurden ihm von den Trauernden silberne Münzen dargebracht, aus denen später die Totenmaske gegossen wurde. Der Tod des Kaisers war am frühen Morgen bekanntgegeben worden. Akendor Thayrin, der Fürst von Thax, der Herrscher Sithars, war über Nacht verschieden. Die Todesursache blieb unbekannt, doch in der Dienerschaft raunte man, Akendor habe sich das Leben genommen, voller Gram über den Mord an seiner Geliebten und die blutige Tat, die er selbst im Thronrat an einem wehrlosen Kind begangen hatte.
Jundala Geneder hatte sich zu den Gerüchten nicht geäußert. Sie vermutete, daß Akendor schon vor Wochen im Kerker umgekommen war; dort hatte man ihn fortgeschlossen wie ein wildes Tier. Sein geistiger Zustand hatte eine Rückkehr auf den Thron unmöglich gemacht. Daß die Fürsten des Gespanns den letzten Schritt gewagt und Akendor getötet hatten, bestürzte Jundala. Heute noch würde der Thronrat zusammentreffen, um über den Tod des Herrschers Rat zu halten. Vermutlich würden die Fürsten Prinz Uliman, Akendors Sohn, zum Nachfolger krönen, um weitere Unruhen im Volk zu vermeiden. Nur zu gerne hätte Jundala an der Sitzung teilgenommen, doch da ihr Gemahl aus Arphat zurückgekehrt war, würde er die Stimme Ganatas im Silbernen Kreis vertreten. Jundala strich mit den Fingerspitzen ein letztes Mal über die Münze, die sie zu Akendors Gedenken auf das Tuch gelegt hatte. Dann wandte sie den Kopf; sie hatte leise Schritte hinter sich vernommen, das Rauschen eines Gewandes. Eine Frau kniete sich zu ihrer Rechten auf den Steinboden. Ihr Gesicht war mit einem Schleier verhüllt.
»Eine Münze«, hörte sie eine bebende Stimme, »eine silberne Münze opfert Ihr dem Mörder meines Kindes.« Es war Tundia Thim, die Schwester Fürst Scorutars. Ihr Gesicht war unter dem Schleier kaum zu erkennen. Sie trug ein Trauergewand. Die rechte Hand preßte sie in merkwürdiger Haltung an die Brust.
Jundala blickte sie überrascht an. »Baronin Tundia! Ich wußte nicht, daß Ihr noch in Thax seid. Ich nahm an, Ihr wäret nach Condul zurückgekehrt, zu Eurem Gemahl, um…« Sie suchte nach Worten.
»…um mein Kind zu Grabe zu tragen?« stieß Tundia hervor. »Nun, Ihr habt Euch geirrt, Jundala Geneder. Ich habe den Leichnam meiner Tochter nach Condul bringen lassen; dort soll er aufgebahrt bleiben, bis ich heimkehre. Ich wollte Thax nicht verlassen, solange Suenas Mörder am Leben ist.«
Jundala zog ihre Hand von der Münze zurück. »Akendors Tod muß Euch wie eine Erlösung erscheinen. Ich weiß, wie Euch zumute ist.«
»Wie könntet Ihr wissen, was ich fühle, was ich empfinde?« Tundia preßte die zusammengeballte Faust gegen ihre Brust. »Nur der Haß in mir ist größer als mein Schmerz. Das einzige Kind zu verlieren, auf diese Weise, durch die Hand dieses Verbrechers… nein, Ihr könnt es nicht wissen!« Jundala glaubte, unter dem Schleier die geröteten Augen der Baronin zu erkennen. »Vielleicht ahnt Ihr es, tief in Eurem Herzen, weil Ihr selbst eine Mutter seid, weil Ihr eine Tochter in Suenas Alter habt. Doch der Haß brennt nur in mir.«
Jundala senkte den Blick. »Akendor ist tot. Der Mord an Eurer Tochter wurde gerächt.«
Tundia stieß ein
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