Flammende Versuchung
sie vom Scheitel bis zur Sohle und wieder zurück musterte.
»Ihr seid aber wirklich ausgesprochen groß. Hatten sich Eure Eltern entschlossen, meterweise einzukaufen?« Er stand auf und trat auf sie zu. »Ich bin aber immer noch größer, also habe ich gewonnen.«
Er war tatsächlich einige Zentimeter größer als sie, was in ihr ein absolut merkwürdiges Gefühl auslöste – als wäre sie nicht so groß wie ein Baum. Sie musste den Kopf ein wenig in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu schauen, was bedeutete, dass sie sich aus ihrer üblichen Haltung aufrichten musste. Wie … ungewöhnlich.
Oh, er sah wirklich gut aus! Er war nicht der heroisch gutaussehende Typ, kein Ritter mit kantigem Kinn und breiter Brust. Er war schlanker, mit einem Gesicht wie gemeißelt und Augen, die wie das Meer in der Sonne glitzerten …
Seine Augen begannen noch mehr zu funkeln, und sein Grinsen wurde breiter. »Ich bin eine ziemliche Augenweide, stimmt’s?«
»Was?« O Gott, sie hatte ihn angestarrt, hatte ihn bestaunt wie ein liebeskrankes Hühnchen! Furchtbar – jeden Augenblick würde er etwas Nettes sagen, um ihr den Rückzug leicht zu machen. Nein, wie unerträglich. Sie machte rasch einen Schritt zurück, fast taumelnd, es war ihr egal, sie wollte nur fort von dem Blick, der jeden Moment in seine Augen treten würde -
Eine langfingrige Hand schoss vor, um sich um ihren Oberarm zu legen. Er zerrte sie rasch zurück, zog sie für den Bruchteil einer Sekunde an sich.
Es reichte ihr, um herauszufinden, dass seine lässige Haltung einen schlanken Körper maskierte, der sich hart wie Granit anfühlte. Das bisschen Busen, das sie ihr Eigen nennen konnte, wurde gegen einen muskulösen Brustkorb gedrückt, der bei ihrem Zusammenstoß keinen Zentimeter nachgab. Sie keuchte auf – sowohl wegen dieser unerwarteten Entdeckung und deren sofortigen Wirkung auf ihren Körper, als auch wegen der überraschenden Handlung selbst.
Er ließ sie los, sobald sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, und trat geschmeidig zurück. »Die Tür«, sagte er grinsend. »So etwas kostet was, wisst Ihr?«
Sophie schaute über die Schulter und erkannte, dass sie tatsächlich kurz davor gewesen war, gegen die geschlossene Tür zu rennen. Noch immer abgewandt, schloss sie die Augen. Idiotin! Was war nur mit ihr los?
Er ging um sie herum, wobei er den Kopf schief gelegt hielt, um ihr ins Gesicht sehen zu können. »Ich denke, Ihr müsst Miss Sophie Blake sein. Deirdre hat gesagt, Ihr wäret groß und unscheinbar.«
Er hielt sie für unscheinbar – das war nicht gerade eine Überraschung. Die Tatsache, dass er es in einem so neutralen Tonfall sagte – das war neu. Die meisten Leute vermieden mit einer solchen Hartnäckigkeit, es laut auszusprechen, dass ihr Schweigen selbst demütigend war, oder aber sie hielten es für nötig, ihr auf vorgeblich unbeschwerte Art Mut zu machen.
Keine Sorge, Liebes. Irgendwo da draußen gibt es einen Mann, der nach einer ehrlichen, dünn-, äh, schlanken Frau sucht.
Dieser Kerl zeigte überhaupt kein Mitleid. Sie hob den Kopf ein wenig, um ihn neugierig zu mustern.
»Nun?« Er grinste. »Seid Ihr nun die scheue Sophie oder nicht?«
»Seht Ihr sonst noch irgendwo eine große, unscheinbare Dame?« Gütiger Himmel, war das ihre Stimme? So schnippisch und kalt?
Er lachte, dann deutete er einen Diener an. »Hallo, Sophie. Ich bin Lord Graham Cavendish. Lady Tessa ist meine Cousine.«
Sophie entspannte sich ein wenig. Er gehörte zur Familie – oder zumindest zu Tessas Familie, was schon fast zählte, nicht wahr? Und doch machte sie die Art, wie er sie ansah – noch dazu so direkt! -, hibbelig. Auch wenn er fast zur Familie gehörte, war er immer noch unsagbar attraktiv.
»Ich bin erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Lord Graham Cavendish, Tessas Cousin.« Klang das kindisch? Es hatte unbeschwert und weltgewandt klingen sollen.
Doch darin hatte sie nun überhaupt keine Übung. Und auch Lord Cavendish schien dieser Meinung zu sein. »Wo habt Ihr Euch all die Jahre versteckt? Auf dem Grund eines Brunnens? Das würde zumindest Eure Größe erklären. Ihr habt Euer Leben mit dem Versuch zugebracht, herauszuwachsen.«
Er machte sich über sie lustig, aber es war überhaupt nicht boshaft gemeint. Sophie fühlte, wie sich ihre
Mundwinkel in die Höhe zogen. »Genau. Und jedes Jahr haben sie mir einen Löffel gegeben, damit ich das Loch noch etwas tiefer graben konnte.«
Sein Lächeln wurde breiter. Er
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