Flammender Diamant
zerreißen«, sagte Cole ruhig.
»Du wirst erfrieren ohne Hemd.« Aber sie hob den Rucksack wieder auf.
»Ich habe doppelt soviel Masse wie du. Ich kann viel mehr Wärme speichern. Da kannst du jeden Biologen fragen.«
Noch bevor Erin weiterreden konnte, drehte Cole sich um und ging durch den nächsten Gang weiter, der so eng war, daß er nur seitlich vorwärtskam. Auch hier war zu erkennen, daß in der Vergangenheit das Wasser schon hoch darin gestanden hatte. An jeder möglichen Abzweigung waren wieder Pfeile angebracht.
Von überall her ertönte das Geräusch fließenden Wassers, so daß Erin sich fühlte, als wäre sie eine Luftblase in einem Irrgarten aus Wasserfällen und Kaskaden. Sie hätte gern gewußt, wie tief sie jetzt wohl schon in den Kalkstein vorgedrungen waren, traute sich aber nicht zu fragen. Eigentlich wollte sie auch gar nicht wissen, wie viele Meter Felsen sich über ihnen türmten. Es war sowieso schwierig genug, sich räumlich vorzustellen, wie sie sich durch das Höhlensystem auf und ab und seitwärts voranbewegten. Wenn die Pfeile nicht gewesen wären, hätte sie schnell die Orientierung verloren.
Cole ging um die nächste Ecke und spürte plötzlich, wie der seitliche Druck der Felswände nachließ. Er machte noch drei Schritte weiter und drehte sich dann um, damit er genau sehen konnte, wo sie sich nun befanden.
Sie hatten den bisher größten Höhlenraum erreicht. Von allen Seiten hörten sie Wasser rauschen und plätschern. Die Decke war höher als die Reichweite ihrer Lampen. Auch die Wände konnten sie bis auf die eine hinter sich nicht sehen. Die Luft bewegte sich sacht, von den zahllosen Wasserläufen verdrängt.
»Vier Minuten, mehr nicht«, sagte Cole und sah auf seine Uhr.
Erin war zu fasziniert, um zu widersprechen. Die intensive Empfindung von Raum um sie herum war ihr sowohl angenehm als auch unheimlich, denn die Höhle war mit Milliarden von Stimmen des Wassers erfüllt, die flüsterten, murmelten, rauschten, sich ergossen, brausten, brodelten, rannen: Wasser, wo auch immer sie hinschaute, eine Welt erfüllt von Wassertropfen und dichter Schwärze. Ein riesiger, flacher Teich erstreckte sich vor ihren Füßen ins Dunkel hinein so weit ihre Lampen reichten. Verborgene Strömungen ließen das Licht über der Oberfläche tanzen und schimmern.
Zum ersten Mal seit Erin in diesen Irrgarten aus Kalkstein eingedrungen war, wünschte sie, sie hätte ihre Kamera. Seit ihrer ersten Begegnung mit der langen arktischen Nacht war ihr nichts so Schönes und so Unheimliches mehr begegnet wie dieser unterirdische See.
Der wandernde Lichtkegel ihrer Lampe fiel auf Haufen von Kalksteinbrocken, die aus der Wasseroberfläche hervorragten. Sie packte Coles Unterarm.
»Schau!«
Sein Lichtkegel schnitt einen Streifen durch die Dunkelheit und fand noch mehr Haufen, die sich aus dem dunklen See erhoben. Er ging dicht ans Ufer. Der Wasserspiegel bewegte sich unter seinen Füßen, als wäre er lebendig. Das Wasser war absolut klar, denn es hatte den Staub der Oberfläche auf seinem langen Weg durch den Felsen längst hinter sich gelassen. Wenn nicht die Unruhe des Wasserspiegels das Licht reflektiert hätte, wäre das Wasser beinah unsichtbar gewesen. Langsam drehte Cole sich um und prägte sich das Aussehen der Felswand hinter sich ein. Abe hatte den Tunnel nicht numeriert. Auch keine der anderen Öffnungen und Spalten.
»Ich sehe keine Pfeile«, sagte Erin.
Cole antwortete nicht. Er begann, durch das flache Wasser am Ufer des Sees zu waten, auf der Suche nach einem Anzeichen dafür, daß Abe vor ihnen schon hiergewesen war.
»Hier. Im Wasser«, sagte er dann.
Er mußte es noch einmal lauter wiederholen, denn das Brüllen des Wassers hatte seine Worte verschluckt. Erin watete zu ihm und sah dann den Pfeil unter sich auf dem Kalksteinboden.
»Soll das heißen, daß es trocken war, als Abe hier war?«
»Wahrscheinlich«, sagte Cole. »Er stand überhaupt nicht sehr auf Wasser. Genaugenommen haßte er es. Konnte auch nicht schwimmen.«
»Es muß ja grausig für ihn gewesen sein, diese Höhle zu erforschen.«
»Nicht während der Trockenzeit. Das Wasser, das hier fließt, stammt von gestern.«
Erin hielt die Luft an und mußte sich dann zwingen, wieder auszuatmen. Sie dachte an den ungeheuren Regen und die große Oberfläche des Tafelberges, und an all die Tropfen, die sich zu Rinnsalen und kleinen Bächen verdichteten und zu immer größeren Strömen Zusammenflossen, immer tiefer
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