Flammendes Begehren
Die Luft schmeckte nach Wandel. Die kühle Sommernacht ließ erahnen, dass der Herbst nicht mehr weit war.
Der Wind frischte auf und zerzauste ihm wie eine unsichtbare Hand das Haar, als Geoffrey am Rande des Hofes entlanglief. Eine Wache auf dem Burgwall winkte ihm zu. Geoffrey erwiderte die Geste mit einem grantigen Gruß.
Er drehte sich um und lief zurück. Das kratzende Geräusch, verursacht von Stiefelhacken, verriet ihm, dass er besser daran tat, sich in Acht zu nehmen. Er war nicht allein. In der Finsternis war jemand, versteckte sich dort, wo das Licht der züngelnden Fackeln die Dunkelheit nicht verscheuchen konnte, und beobachtete ihn.
Geoffreys Unruhe wuchs sich zu kriegerischer Wachsamkeit aus. »Zeigt Euch!«, befahl er.
Dominic, eingehüllt in einen braunen Wollumhang, löste sich aus dem Schatten. Sein Mund verzog sich zu einem verlegenen Feixen. »Guten Abend, Mylord.«
Geoffrey massierte sich den steifen Hals und fragte sich, wie lange Dominic ihn beobachtet haben mochte und was er aus seinem Verhalten schloss.
»Es überrascht mich ein wenig, Euch hier anzutreffen, Mylord. Ich nahm an, Ihr würdet in Eurem warmen Bett liegen, die schöne Veronique im Arm.«
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Verstehe. Lady Elizabeth.«
»Wo denkst du hin?«, fuhr Geoffrey seinen Freund an.
Dominic zog eine Augenbraue in die Höhe. Geoffrey hoffte auf ein Wunder, genauer gesagt darauf, dass die nächste Böe sämtliche Fackeln ausblies, den Innenhof in Finsternis tauchte und ihn so vor dem scharfen Auge seines Freundes rettete.
»Dürfte ich darauf verweisen, dass besagte Dame seit dem gestrigen Morgen bei uns weilt und Ihr Euch seither wie ein verrückter Keiler benehmt!«
Geoffrey schnaubte. »Lieber ein Keiler als eine
Schlange
.«
»Ich habe Euch nicht nachspioniert, falls Ihr das meint, sondern bin hier, um mir den Mond anzusehen. Der letzte Krug Wein zum Abendessen ist mir nicht sonderlich gut bekommen, und frische Luft ist bekanntermaßen gut für das Gemüt.« Sein Ton wurde leichter. »Der Grund, aus dem auch Ihr hier seid.«
Die Hände in die Hüften gestemmt, machte Geoffrey eine halbe Drehung und sah zu der bläulichen Silhouette des Mondes auf. Unter keinen Umständen würde er preisgeben, dass Lady Elizabeth ihm andauernd im Kopf herumspukte!
Als er spürte, wie Dominic sein Profil musterte, drehte er das Gesicht kurzerhand weg.
Dominic gluckste. »Könnte es sein, dass unser Gast für Eure Rastlosigkeit verantwortlich ist?«
»Unser
Gast
…«, wiederholte Geoffrey zähnefletschend. »Immer wenn ich in ihrer Nähe weile, überfällt mich der Wunsch, sie zu erdrosseln.«
»Ihr begehrt sie. Sie ist dickköpfig und beherzt, ganz zu schweigen von ihrem gefälligen Äußeren.«
»Sie ist Brackendales Tochter.«
Dominic zuckte mit den Achseln. »Schlecht für sie, aber nicht ihr Fehler.«
Mit steifen Fingern strich Geoffrey sich eine vom Wind zerzauste Strähne aus der Stirn. »Lady Elizabeth ist ein Pfand, ein Mittel zum Zweck. Bereits in wenigen Tagen wird sie mich nicht weiter belästigen.«
Die Hände tief in den Taschen des Umhangs verborgen, legte Dominic den Kopf auf die Seite. »Sagt mir, Mylord: Verspürt ihr Gewissensbisse?«
Geoffrey stieß ein Lachen aus. Sofort riss der kühle Wind das Geräusch mit sich. Sein Verhalten gegenüber Elizabeth sollte ihm keine Schuldgefühle bescheren. Genauso wenig, wie er auch nur eines seiner abfälligen Worte ihr gegenüber bereuen würde – oder dass er sie zu einem Kuss gezwungen hatte. Sich an Lord Brackendale für den Tod seines Vaters zu rächen ging vor.
»Keine Gewissensbisse«, antwortete Geoffrey schließlich. Doch das Zittern in seiner Stimme verriet ihn.
Er hielt das Gesicht in den Wind, wenngleich dieser ihm auf den Wangen und in den Augen brannte. Nein, er würde die Loyalität der Menschen gewinnen, die einem Edouard de Lanceau gedient hatten. Bald schon würde er die Ländereien unter sich wissen, die ihm durch das Erstgeburtsrecht zustanden. Er würde das Tuchimperium aufbauen, von dem er seit jeher träumte, bis der Name de Lanceau reingewaschen war und alle, die es sich leisten konnten, nach seinen Stoffen lechzten.
Dann endlich würden sie ihn nicht mehr Sohn eines Verräters schimpfen!
Und Brackendales Tochter würde ihm nicht dabei im Weg stehen.
Mit einem Zischen imitierte der Wind Dominics Seufzen.
Argwohn durchflutete Geoffrey, angestachelt von dem spitzbübischen Feixen seines Freundes.
Weitere Kostenlose Bücher