Flammendes Eis
seinem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und registrierte mit wachem Blick auch noch die kleinste Kleinigkeit.
Nach Abschluss der Präsentation drückte er einen Knopf an der Gegensprechanlage. »Bitte fragen Sie nach, ob Dr. Wilkins aus der geologischen Abteilung etwas Zeit für uns erübrigen kann.«
Dr. Elwood Wilkins kam nach wenigen Minuten. Er war ein schlanker, zurückhaltender Mittelwestler, der so aussah, wie man sich in Filmen immer den freundlichen Apotheker oder den Hausarzt vorstellte. Sandecker holte für ihn einen weiteren Stuhl zum Tisch. Dann reichte er Wilkins die Ausdrucke und gab dem Geologen einige Minuten, um das Material zu studieren.
Wilkins beendete die Lektüre und hob den Kopf.
Sandecker beantwortete die unausgesprochene Frage des Wissenschaftlers. »Diese Gentlemen haben die Möglichkeit angedeutet, dass entlang der Ostküste Teile des Festlandsockels einstürzen und zerstörerische Flutwellen auslösen könnten.
Wenngleich ich die Meinung der Herren sehr schätze, so kann es doch nie schaden, einen unbeteiligten Beobachter hinzuzuziehen. Was halten Sie davon?«
Wilkins lächelte. »Oh, ich glaube nicht, dass für die Strandpromenade von Atlantic City akute Gefahr besteht, ins Meer gespült zu werden.«
Sandecker zog eine Augenbraue hoch.
»Aber«
, fügte Wilkins hinzu, »laut jüngerer Forschungsergebnisse ist diese Befürchtung beileibe nicht weit hergeholt. Das Gestein unter der Kruste des Festlandsockels hat sich ziemlich voll gesogen. Falls der Druck des Meeresgrunds auf ein kritisches Niveau steigt, würde dadurch das Wasser heraus gepresst. Es ist, als würden Sie auf einen Ballon treten. Als Folge könnten unterseeische Erdrutsche auftreten und riesige Wellen in Richtung Ufer schicken. Einige meiner Kollegen an der Penn State University haben anhand von Computersimulationen nachgewiesen, dass diese Möglichkeit durchaus real ist.«
»Käme als Auslöser ein Erdbeben in Betracht?«, fragte Sandecker.
»Ein Erdbeben würde ausreichen, ziemlich sicher sogar.«
»Könnte das alles an der Ostküste passieren?«, fragte Gunn.
Wilkins wies auf den Stapel Ausdrucke in seiner Hand.
»Dieses Material macht es recht deutlich. Der Festlandsockel erstreckt sich über die volle Länge der Küste. An mehreren Stellen des Kontinentalhangs gibt es große Spalten und Krater, wo das Potenzial für einen Erdrutsch entsprechend größer ist.«
»Könnte etwas anderes als ein Erdbeben einen solchen Vorfall auslösen?«, fragte Gunn.
»Es könnte
spontan
geschehen. Verzeihen Sie, dass ich nicht präziser darauf antworten kann. Es ist ein komplett neues Forschungsgebiet.«
»Ich hatte an die plötzliche Freisetzung von Methanhydrat gedacht.«
»Warum nicht? Sicher, falls die Hydratschicht instabil wird, könnte der ganze Kram einstürzen und die besagten Flutwellen auslösen.«
Sandecker sah, dass Wilkins keine Frage stellen wollte, und beendete das Gespräch. »Vielen Dank, Doktor. Sie waren uns wie immer eine große Hilfe.« Er begleitete Wilkins zur Tür, klopfte ihm auf den Rücken und bedankte sich noch einmal.
Dann kehrte er zu den anderen zurück. »Ich hoffe, es hat Sie nicht gestört, dass ich Dr. Wilkins hinzugebeten habe. Ich wollte eine unabhängige Meinung hören.«
»Nach allem, was wir nun wissen, halte ich es für ziemlich wahrscheinlich, dass Razow eine Möglichkeit entwickelt hat, Tsunamis auszulösen«, sagte Gunn. »Die Welle bei Maine war eine Art Trockenübung, falls Sie mir den Ausdruck bitte nachsehen würden. Sofern unsere Vermutung zutrifft, ist er irgendwie in der Lage, gewaltigen Schaden anzurichten.«
»Die
Ataman Explorer
ist der Schlüssel«, sagte Austin. »Wir müssen sie aufspüren.«
»Das reicht nicht«, wandte Sandecker ruhig, aber bestimmt ein. »Wir müssen
an Bord
dieses Schiffs gelangen!«
28
Rocky Point, Maine
Vor dem Einschlag der großen Welle war Rocky Point der Inbegriff einer idyllischen neuenglischen Kleinstadt gewesen, wie sie mit ihren malerischen Häfen und hübschen schindelgedeckten Holzhäusern in zahllosen Kalendern abgebildet wurden. Die ordentliche Main Street hätte aus einem Film von Frank Capra stammen können. Doch als Jenkins’ Boot das Hafenbecken verließ, schaute Austin in Richtung Land zurück und kam zu dem Schluss, dass die Stadt inzwischen wie eines dieser Suchbilder wirkte, bei denen der Betrachter aufgefordert wurde, die Fehler zu entdecken. Und bei
diesem
Bild stimmte eine ganze Menge
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