Flammendes Eis
reichten. Abgesehen von der Klippe, die dank Wind und Wasser dem scharfkantigen Profil eines alten Mannes glich, sah hier alles völlig unscheinbar aus. Über den Dünen hing ein Vorhang aus Dunst. Austin erinnerte sich, dass das Land hinter den grasbewachsenen Kämmen zu den verlassenen Gebäuden hin abfiel und dann in eine flache, zerklüftete Ebene überging, die von Gehölzen flankiert wurde und langsam wieder zu einer Reihe niedriger Hügel anstieg.
Es roch plötzlich, als hätte jemand ein Tau angezündet. Austin rümpfte die Nase, senkte das Fernglas, drehte sich um und sah Kemal. Der Kapitän zog die gekrümmte schwarze Zigarre zwischen den vom Tabak gelben Zähnen hervor und deutete damit auf das Ufer.
»Na, wie sieht’s aus, Mr. Austin?«
»Es herrscht Grabesstille, Kapitän.«
»Das gefällt mir nicht. Es ist
zu
ruhig.« Er stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. »Zu meiner Zeit als Schmuggler hat mich ein solcher Strand immer nervös gemacht. Nicht einmal Vögel fliegen dort herum. Sind Sie sicher, dass Sie an Land gehe n wollen?«
»Leider bleibt uns kaum eine andere Wahl. Allerdings habe ich gehofft, der Nebel würde sich auflösen.«
Kemal schaute zum Ufer. »Noch eine Stunde. Vielleicht zwei.«
»Das ist zu lang. Wir brechen bald auf.«
Der Kapitän vollführte eine weit ausholende Geste, so dass Funken von seiner Zigarre auf stoben. »Die Männer sind bereit.«
Austin nickte und dachte an die Unterredung zurück, die er und Kemal auf der Fahrt von Istanbul hierher geführt hatten.
Kurt hatte sich erkundigt, ob der Kapitän den russischen Seemann kannte, durch den Kaela Dorn auf den Stützpunkt aufmerksam geworden war.
»Er heißt Valentin«, hatte Kemal ohne zu zögern erwidert.
»Die anderen Fischer beschäftigen ihn manchmal als Aushilfe.
Miss Dorn hat ihm für sein ›Geheimnis‹ viel zu viel bezahlt.« Er schüttelte bekümmert den Kopf. »Alle Fischer wissen über die U-Boote Bescheid.«
»Die Leute
wussten
von der Basis hier?«
»Natürlich.« Kemals schmale Lippen verzogen sich zu einem wissenden Grinsen. »Fischer wissen
alles
. Wir beobachten das Wetter, das Wasser, die Vögel, die anderen Boote.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an den Augenwinkel. »Wer nicht wachsam bleibt, gerät schnell in Schwierigkeiten.«
Austin war nicht überrascht. Im Zuge seiner NUMA-Aufträge arbeitete er häufig mit Fischern zusammen und hatte sie als umsichtige Beobachter aller Vorgänge unter, auf und über dem Meer schätzen gelernt. Ein Fischer musste Biologe, Meteorologe, Mechaniker und Seemann zugleich sein. Sein Lebensunterhalt und mitunter das eigene Überleben hingen von seiner Fachkenntnis und Erfahrung ab. Bei dem früheren Schmuggler Kemal war daher sogar von einer überdurchschnittlichen Aufmerksamkeit auszugehen.
»Wie lange haben Sie hier gefischt?«, fragte Austin.
»
Viele
Jahre. Damals bekam man hier Kutter aller Länder zu Gesicht. Türkische, russische und bisweilen auch bulgarische.
Große Bonitoschwärme überall. Niemand hat uns gestört. Dann kamen eines Tages russische Patrouillenboote mit bewaffneten Soldaten. Sie sagten, hier gäbe es ab jetzt eine Forschungsstation, und wer ihr zu nahe käme, würde erschossen.
Einige der Fischer hielten das für übertrieben und wurden prompt umgelegt, also haben wir anderen uns fern gehalten und weiter draußen gefischt, wo niemand uns behinderte. Hin und wieder sah man ein Periskop. Und einmal kam eine große schwarze Flosse neben meinem Boot aus dem Wasser.«
»Der Kommandoturm eines U-Boots?«
»Ich schätze, er war bloß neugierig«, sagte Kemal und nickte.
»Dann zerfiel die Sowjetunion, und die U-Boote blieben weg.
Alle sagten, die russische Kriegsmarine sei pleite. Eines Tages habe ich gewagt, einem Fischschwarm näher ans Ufer zu folgen.« Er umklammerte ein unsichtbares Steuerrad, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Ich war die ganze Zeit fluchtbereit. Aber niemand hat mich aufgehalten. Seitdem habe ich hier problemlos arbeiten können.« Er zuckte die Achseln.
»Als die Fernsehleute mit Mehmet an Land gehen wollten, hielt ich das für wenig riskant.«
»Haben Sie sich jemals dort am Ufer umgesehen?«
»Nein, was auch immer da war, es ging mich nichts an. Dann wurde Mehmet erschossen.« Er spuckte über die Bordwand.
»Jetzt
geht
es mich etwas an.«
Kemals Geschichte passte zu dem Bericht, den Austins Freund Leahy ihm geschickt hatte. Laut den CIA-Unterlagen wurde mit dem Bau des
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