Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Frank. Sie halten beide inne. Ein junger Journalist berichtet, dass Elin Frank in der Nacht operiert wurde und die Ärzte sehr optimistisch sind. Elins Ratgeber Robert Bianchi ist im Bild zu sehen. Er wirkt erschöpft, lächelt jedoch und hat Tränen in den Augen, als er der Presse mitteilt, dass Elin überleben wird.
»Was ist passiert?«, fragt Disa leise.
»Sie hat alleine gegen den Mörder gekämpft und das Mädchen gerettet …«
»Großer Gott«, flüstert Disa.
»Ja, Elin Frank ist … sie ist wirklich … außergewöhnlich«, sagt Joona und berührt Disas schmale Schultern.
182
JOONA SITZT IN EINE DECKE GEHÜLLT an Disas Küchentisch, und sie essen Hähnchen Vindaloo und Lamm Tikka Masala.
»Lecker …«
»Mamas finnisches Rezept, mehr sage ich dazu nicht«, erwidert sie lachend.
Sie reißt einen Bissen von einem Naan-Brot ab und reicht Joona den Rest. Er sieht sie mit lächelnden Augen an, trinkt einen Schluck Wein und erzählt weiter von dem Fall. Disa hört zu und stellt Fragen, und je länger er erzählen darf, desto ruhiger wird er innerlich.
Er fängt ganz vorne an und erzählt Disa von den Geschwistern Flora und Daniel, die sehr früh in ein Kinderheim kamen.
»Dann sind die beiden tatsächlich Geschwister?«, fragt sie und füllt die Gläser.
»Ja … und es war damals eine ziemlich große Sache, als die reichen Eheleute Rånne sie adoptierten.«
Sie waren nur kleine Kinder, die mit der Tochter des Vorarbeiters auf dem Gut spielten, auf dem Land und auf dem Friedhof rund um den Glockenturm. Daniel schwärmte für das kleine Mädchen Ylva. Joona sieht vor sich, wie Flora mit weit aufgerissenen Augen erzählte, dass Daniel Ylva ein Küsschen gegeben hatte, als sie Augen zu spielten.
»Das Mädchen lachte und sagte, jetzt bekomme sie ein Kind«, sagt Joona. »Daniel war erst sechs und geriet aus irgendeinem Grund in Panik …«
»Sprich weiter«, flüstert Disa.
»Er befahl den beiden Mädchen, die Augen zu schließen, hob einen schweren Stein von der Erde auf und erschlug Ylva.«
Disa isst nicht mehr und lauscht nur noch mit blassem Gesicht, als er beschreibt, wie Flora floh und ihrem Vater erzählte, was passiert war.
»Aber ihr Vater liebte Daniel und verteidigte ihn«, sagt Joona. »Er verlangte, Flora solle ihre Anschuldigungen zurücknehmen. Er drohte ihr damit, dass alle Lügner in einen See aus Feuer geworfen würden.«
»Und daraufhin hat sie alles zurückgenommen?«
»Sie sagte, sie habe gelogen, und weil sie so eine schreckliche Lüge aufgetischt hatte, wurde sie für immer fortgeschickt.«
»Flora nahm zurück, was sie gesehen hatte … und log, als sie behauptete, sie habe gelogen«, sagt Disa nachdenklich.
»Ja«, bestätigt Joona und berührt ihre Hand auf dem Tisch.
Er denkt an Flora, die damals ein kleines Kind war und ziemlich schnell ihr früheres Leben, ihre ersten Adoptiveltern und ihren Bruder vergaß.
Joona hält sich vor Augen, wie Flora sich ein ganzes Leben auf Lügen aufbaute. Sie log, damit andere zufrieden waren. Erst als sie im Radio von den Morden im Haus Birgitta hörte, von dem Mädchen mit den Händen vor dem Gesicht, erwachte ihre Vergangenheit zu neuem Leben.
»Aber wie war das mit Flora Hansens Erinnerungsbildern?«, fragt Disa und fordert Joona mit einer Geste auf, sich zu bedienen.
»Auf dem Weg zu dir habe ich Britt-Marie angerufen und mit ihr darüber gesprochen«, antwortet Joona.
»Mit Åhléns Frau?«
»Ja … sie ist Psychiaterin und schien den Fall nicht weiter ungewöhnlich zu finden …«
Er referiert Britt-Maries Worte, dass es eine Menge verschiedener Erklärungsmodelle zum Gedächtnisverlust in Verbindungmit einer Posttraumatischen Belastungsstörung gibt. Der extrem hohe Ausstoß von Adrenalin und stressbezogenen Hormonen beeinflusst das Langzeitgedächtnis. Bei schwer traumatisierenden Erlebnissen kann die Erinnerung fast vollkommen intakt im Gehirn gespeichert werden. Sie wird jedoch verdrängt und bleibt gefühlsmäßig unangetastet, weil sie nie verarbeitet wird. Durch den richtigen Auslöser kann die Erinnerung jedoch plötzlich in Form von körperlichen Wahrnehmungen und Bildern auftauchen.
»Erst war Flora bloß erschüttert, als sie von den Morden im Radio hörte, sie wusste nicht, warum, dachte aber, dass sie vielleicht Geld damit verdienen könnte, Hinweise zu geben«, erklärt Joona. »Als dann jedoch die wirklichen Erinnerungsbilder auftauchten, glaubte sie, Geister zu sehen.«
»Vielleicht waren
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