Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
es ja wirklich Geister?«, schlägt Disa vor.
»Ja«, sagt er nickend. »Jedenfalls begann sie, die Wahrheit zu sagen, und so ist Flora zu der Zeugin geworden, die das ganze Rätsel löste.«
Joona richtet sich auf und bläst die Kerzen auf dem Tisch aus. Disa geht zu ihm, schiebt ihre Hände unter die Decke, in die er gehüllt ist und umarmt ihn. Lange bleiben sie so stehen und umarmen sich. Er atmet ihren Duft ein und spürt die Ader, die an ihrem schlanken Hals pulsiert.
»Ich habe solche Angst, dass dir etwas zustoßen könnte. Darum ist es immer gegangen, deshalb habe ich mich von dir zurückgezogen«, sagt er.
»Was soll mir denn schon zustoßen?«, fragt sie lächelnd.
»Du könntest verschwinden«, antwortet er ernst.
»Joona, ich verschwinde doch nicht.«
»Ich hatte einmal einen Freund namens Samuel Mendel«, sagt er leise, verstummt dann jedoch.
183
JOONA LINNA NIMMT vom Polizeipräsidium aus den steilen Fußgängerweg durch den Kronobergspark und geht über den Hügel zum alten jüdischen Friedhof. Mit geübten Händen löst er den Stahldraht auf der Innenseite des Zauns, öffnet das Tor und geht hinein.
Mitten unter den dunklen Grabsteinen gibt es ein neueres Familiengrab mit der Inschrift: Samuel Mendel, Ehefrau Rebecka und die Söhne Joshua und Ruben.
Joona legt einen kleinen runden Stein auf die Oberkante des Grabsteins und bleibt anschließend mit geschlossenen Augen stehen. Er riecht den Duft, der von der feuchten Erde aufsteigt, und hört die Blätter im Park rauschen, als der Wind durch die Wipfel streicht.
Samuel Mendel war ein direkter Nachfahre Koppel Mendels, der diese Grabstelle gegen den Widerstand Aaron Isaacs 1787 kaufte. Obwohl der Friedhof eigentlich bereits seit 1857 nicht mehr genutzt wurde, blieb er in all den Jahren die letzte Ruhestätte für Koppel Mendels Familie.
Samuel Mendel war Kriminalkommissar und Joonas erster Partner bei der Landeskriminalpolizei.
Joona und er waren sehr eng befreundet.
Samuel Mendel wurde nur sechsundvierzig Jahre alt, und Joona weiß, dass er einsam in seinem Familiengrab liegt, obwohl der Grabstein etwas anderes behauptet.
Joonas und Samuel Mendels erster großer gemeinsamer Fall wurde auch zu ihrem letzten.
Nur eine Stunde später befindet sich Joona in den Räumlichkeiten der obersten Dienstaufsichtsbehörde. Er sitzt in einem Zimmer mit Mikael Båge, dem Leiter der internen Ermittlungen, Chefsekretärin Helene Fiorine und Oberstaatsanwalt Sven Wiklund.
Das gelbe Licht, das durch die Fenster hereinfällt, leuchtet auf lackierten Möbeln und spiegelt sich in den Glastüren vor den prächtig eingebundenen Gesetzestexten, den Polizeiverordnungen und den Bänden mit Gesetzessammlungen und wegweisenden Urteilen des Höchsten Gerichts.
»Ich werde nun entscheiden, ob ich Anklage gegen Sie erhebe, Joona Linna«, sagt der Oberstaatsanwalt und streicht mit der Hand über einen Stapel Blätter. »Das sind meine Akten, und in ihnen gibt es nichts, was für Sie sprechen würde.«
Die Rückenlehne knarrt, als er sich zurücklehnt und Joonas ruhigem Blick begegnet. Die einzigen Geräusche im Raum sind das Kratzen von Helene Fiorines Stift und ihre kurzen Atemzüge.
»Wie ich die Sache sehe«, fährt Sven Wiklund trocken fort, »ist Ihre einzige Chance, um eine Anklage herumzukommen, eine richtig gute Erklärung für alles.«
»Joona hat eigentlich immer ein Ass im Ärmel«, flüstert Mikael Båge.
Am hellen Himmel löst sich langsam der weiße Kondensstreifen eines Flugzeugs auf. Stühle knarren, und man hört Helene Fiorine schlucken und den Stift weglegen.
»Sie müssen uns bloß erzählen, was passiert ist. Vielleicht hatten Sie ja wirklich gute Gründe, der Razzia des Staatsschutzes zuvorzukommen.«
»Ja«, erwidert Joona.
»Wir wissen doch alle, dass Sie ein guter Polizist sind«, sagt Mikael Båge verlegen.
»Ich dagegen bin ein richtiger Paragraphenreiter«, erklärt derOberstaatsanwalt. »Ich bin ein Mann, der Leute fertigmacht, die gegen die Regeln verstoßen. Sie sollten Acht geben, dass ich sie nicht hier und jetzt fertigmache.«
Helene Fiorine hat noch nie gehört, dass Sven Wiklund einer Bitte so nahegekommen wäre.
»Ihre ganze Zukunft hängt an einem seidenen Faden, Joona«, sagt der Leiter der internen Ermittlungen leise.
Joona begegnet dem Blick des Oberstaatsanwalts und ergreift endlich das Wort:
»Die Sache war allein meine Entscheidung, wie Sie sicher verstanden haben«, setzt er an. »Aber ich kann Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher