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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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Bildschirm einnimmt.
    »Jetzt sieht man sie gleich«, flüstert er.
    Der Lastzug ist nun aus einem anderen Winkel zu sehen. Er setzt sich in Bewegung und rollt langsam vorwärts. Ari zeigt auf den unteren Rand des Bildschirms, auf die Rückseite der Tankstelle mit Mülltonnen, Glas- und Papiercontainern. Der Bereich liegt im Schatten, es rührt sich nichts. Plötzlich sieht man im schwarzen Glas des Tors zur Waschstraße jedoch eine Bewegung, und im nächsten Moment erkennt man dort einen schmalen Menschen an der Wand.
    Das Bild ist körnig und flackert in dünnen Grautönen. Es ist unmöglich, das Gesicht oder andere Details auszumachen. Aber es handelt sich zweifelsfrei um einen Menschen.
    »Lässt sich die Auflösung des Bildes verbessern?«, fragt Joona.
    »Warten Sie«, antwortet Ari leise.
    Der Lastwagen schwenkt herum und biegt in die Ausfahrt ein. Plötzlich fällt das Licht der Scheinwerfer auf das Garagentor neben der Gestalt. Das Glas wird für einige Sekunden vollkommen weiß. Die gesamte Rückseite der Tankstelle ist in Licht getaucht.
    Joona sieht ganz kurz, dass es sich um ein hageres Mädchen und ein Kind handelt. Die beiden schauen dem Lastwagen hinterher, dann wird es wieder dunkel.
    Ari zeigt auf den Bildschirm, als die zwei Gestalten an der dunkelgrauen Wand entlanggleiten, bevor sich ihre Konturen allmählich in der schwarzgesprenkelten Umgebung aufzulösen beginnen, um schließlich ganz aus dem Bild zu verschwinden.
    »Haben Sie sie gesehen?«, fragt Ari.
    »Gehen Sie noch einmal zurück«, sagt Joona.
    Er muss nicht sagen, welche Sequenz er sich ansehen will. Einige Sekunden später lässt Ari das helle Filmfragment stark verlangsamt laufen.
    Man erkennt kaum, dass sich der Lastwagen weiterbewegt, aber das Licht seiner Scheinwerfer fällt ruckend zwischen die Bäume, schwenkt über die Fassade der Tankstelle und lässt die Fensterscheiben weiß aufleuchten. Der Kopf des kleinen Kindes ist gesenkt und liegt im Schatten. Das schmale Mädchen ist barfuß und scheint in beiden Händen Plastiktüten zu halten. Das Licht wird schrittweise noch greller, während das Mädchen langsam die Hand hebt.
    Joona erkennt, dass es sich nicht um Plastiktüten, sondern um Verbände handelt, die sich abgerollt haben. Er sieht die feuchten Stoffenden in dem hellen Licht pendeln und weiß, dass Vicky Bennet und Dante Abrahamsson nicht im Fluss ertrunken sind.
    Laut der Zeitanzeige im Video ist es vierzehn Minuten nach zwei in der Nacht zum Sonntag.
    Irgendwie haben sie es aus dem Auto heraus, durch die Strömung zum anderen Ufer und anschließend einhundertfünfzig Kilometer nach Süden geschafft. Die wirren Haare des Mädchens hängen in Strähnen herab. Seine dunklen Augen leuchten intensiv, und dann wird das Bild wieder fast schwarz.
    Sie leben, denkt Joona. Die beiden leben noch.

79
    CARLOS ELIASSON , Leiter der Landeskriminalpolizei, hat der Tür demonstrativ den Rücken zugewandt, als Joona sein Büro betritt.
    »Setz dich«, sagt er, und seine Stimme klingt seltsam erwartungsvoll.
    »Ich komme gerade mit dem Auto aus Sundsvall und …« Joona betrachtet Eliassons Rücken und setzt sich auf einen Stuhl mit hellbraunem Lederbezug. Er lässt den Blick über die glatte Fläche des unangetasteten Schreibtischs, den glänzenden Lack auf dem Holz und die Spiegeleffekte des Aquariums schweifen.
    Carlos holt tief Luft und dreht sich endlich zu ihm um. Er sieht verändert aus, unrasiert. Spärlicher Flaum grau melierten Bartwuchses sammelt sich auf seiner Oberlippe und am Kinn.
    »Was sagst du jetzt?«, fragt er mit einem breiten Grinsen.
    »Du hast dir einen Bart stehen lassen«, erwidert Joona langsam.
    »Einen Vollbart«, sagt Carlos zufrieden. »Nun ja … ich denke, dass er schon bald dichter sein wird. Ich werde mich nie mehr rasieren, den Rasierapparat habe ich weggeworfen.«
    »Schön«, sagt Joona nur.
    »Aber wir sind natürlich nicht hier, um über meinen Bart zu sprechen. Wenn ich es richtig sehe, haben die Taucher keine Leichen gefunden.«
    »Nein«, sagt Joona und zieht einen Ausdruck des Bildes von der Überwachungskamera an der Tankstelle heraus. »Wir haben keine Leichen gefunden …«
    »Jetzt kommt es«, murmelt Carlos in sich hinein.
    »… weil es im Fluss keine gibt«, beendet Joona seinen Satz.
    »Bist du sicher?«
    »Vicky Bennet und Dante Abrahamsson leben noch.«
    »Gunnarsson hat schon wegen des Films von der Tankstelle angerufen und …«
    »Leite eine neue landesweite Fahndung ein«,

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