Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
unterbricht Joona ihn.
»Eine landesweite Fahndung? Man kann nicht einfach so eine Fahndungsmeldung herausgeben und wieder zurückziehen und wieder herausgeben und …«
»Ich weiß, dass das auf diesem Bild hier Vicky Bennet und Dante Abrahamsson sind«, sagt Joona mit Nachdruck und zeigt auf den Ausdruck. »Es wurde viele Stunden nach dem Autounfall aufgenommen. Sie leben, und wir müssen wieder landesweit nach ihnen fahnden.«
Carlos streckt ein Bein aus.
»Du kannst mir gerne eine Beinschraube anlegen, wenn du willst«, sagt er. »Aber ich werde kein zweites Mal nach ihnen fahnden lassen.«
»Sieh dir das Bild an«, erwidert Joona.
»Die Polizei des Westlichen Norrlands ist heute in dieser Tanke gewesen«, sagt Carlos und faltet den Ausdruck zu einem kleinen, harten Viereck zusammen. »Sie haben eine Kopie des Films an das Kriminaltechnische Labor geschickt, und zwei von deren Experten haben sich den Film angesehen und sind übereinstimmend zu der Auffassung gelangt, dass es völlig unmöglich ist, die Personen hinter der Tankstelle einwandfrei zu identifizieren.«
»Aber du weißt, dass ich recht habe«, sagt Joona.
»Okay«, sagt Carlos und nickt. »Von mir aus können wir ruhig sagen, dass du recht hast, das wird sich zeigen … aber ich habe nicht vor, mich lächerlich zu machen und nach einer Person fahnden zu lassen, die in den Augen der Polizei längst tot ist.«
»Ich gebe keine Ruhe, bis ich …«
»Warte, warte«, unterbricht Carlos ihn und atmet tief durch. »Joona, mittlerweile hat der Oberstaatsanwalt die Ermittlungsakten gegen dich auf dem Tisch.«
»Aber das ist …«
»Ich bin dein Chef und nehme diese Anzeige gegen dich sehr ernst. Ich möchte absolut sicher sein können, dass du Folgendes verstanden hast: Du leitest die Ermittlungen in Sundsvall nicht.«
»Ich leite die Ermittlungen nicht.«
»Und was macht ein Beobachter, wenn die Staatsanwaltschaftin Sundsvall entscheidet, den Fall zu den Akten zu legen?«
»Nichts.«
»Dann sind wir uns ja einig«, sagt Carlos lächelnd.
»Nein«, entgegnet Joona und verlässt den Raum.
80
FLORA LIEGT RUHIG IN IHREM BETT und starrt an die Decke. Ihr Herz schlägt immer noch schnell. Sie hat geträumt, dass sie sich mit einem Mädchen in einem kleinen Zimmer befunden hat, das sein Gesicht nicht zeigen wollte. Das Mädchen verbarg sich hinter einer Holzstiege. Irgendetwas, etwas Beängstigendes, stimmte nicht mit ihr. Sie trug nur einen weißen Baumwollslip, und Flora konnte ihre mädchenhaften Brüste sehen. Sie wartete darauf, dass Flora näher kommen würde und drehte sich dann weg, kicherte und verbarg ihre Augen mit den Händen.
Am Vorabend hatte Flora über die Morde an Miranda Ericsdotter und Elisabeth Grim in Sundsvall gelesen. Sie konnte einfach nicht aufhören, an den Geist zu denken, der sie besucht hatte. Es kommt ihr bereits vor wie ein Traum, obwohl sie weiß, dass sie das tote Mädchen im Flur gesehen hat. Es war nicht mehr als fünf Jahre alt gewesen, aber in Floras Traum war es genauso alt wie Miranda gewesen.
Flora liegt vollkommen still und lauscht. Jedes Knacken der Möbel und Fußböden lässt ihr Herz schneller schlagen.
Wer sich im Dunkeln fürchtet, ist nicht Herr im eigenen Haus, wer sich im Dunkeln fürchtet, schleicht, gibt gut acht auf seine Bewegungen.
Flora weiß nicht, wohin mit sich. Es ist Viertel vor acht. Sie setzt sich auf, geht zu ihrer Tür, öffnet sie und lauscht in die Wohnung hinein.
Noch ist niemand wach.
Sie schleicht sich in die Küche, um Hans-Gunnars Kaffee vorzubereiten. Die Morgensonne spiegelt sich in der zerkratzten Spüle.
Flora holt eine ungebleichte Filtertüte heraus, knickt die Ränder um, steckt sie in den Filter und bekommt so furchtbare Angst, dass sie nach Luft ringt, als sie hinter ihrem Rücken klatschende Schritte hört.
Sie dreht sich um und sieht, dass Ewa in einem blauen T-Shirt und im Slip in der Tür zu ihrem Schlafzimmer steht.
»Was ist los?«, fragt sie, als sie Floras Gesicht sieht. »Hast du etwa geflennt?«
»Ich … ich muss wissen … ich glaube nämlich, dass ich einen Geist gesehen habe«, sagt Flora. »Hast du ihn nicht gesehen? Hier bei uns. Ein kleines Mädchen …«
»Was stimmt mit dir bloß nicht, Flora?«
Sie wendet sich ab, um ins Wohnzimmer zu gehen, aber Flora legt die Hand auf ihren kräftigen Arm und hält sie auf.
»Aber ich meine es ernst, ganz ehrlich … jemand hatte ihr mit einem Stein hier hinten auf den …«
»Du hast
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