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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Kinderpornoring wohl auch nicht.«
    » Weil er tot ist, hältst du ihn jetzt für unschuldig?«
    » Nein, aber wahrscheinlich ist vorher meine Phantasie mit mir durchgegangen. Doch, Tarek! Wenn er wirklich selbst Brände gelegt hätte – das ist das Mieseste, das wir ihm noch andichten könnten –, wer hätte ihn dann ausschalten wollen? Seine eigenen Ermittlungen sind der beste Ansatzpunkt. Dabei sollten wir bleiben.«
    Die Konsequenz seiner Entscheidung war, dass sie sich auf die Papiere stürzen mussten. Lichtenberg neigte sich tief zu den Traube-Akten hinunter und verkündete mit blutgefülltem Kopf, wie man den Stapel aufzuteilen habe.
    Sternenberg holte alle Getränke aus dem Kühlschrank, es waren allerdings nicht mehr viele. Es war dunkel, als sie feststellten, dass ein etwas kühlerer Luftzug durch die offenen Fenster kam. Sie mussten einen kurzen nächtlichen Regenschauer verpasst haben.
    Um halb drei kochte Wolfgang Lichtenberg einen Seemannskaffee und erinnerte die anderen daran, dass es bereits Samstagmorgen war. Das war das Letzte, was er sagte, dann schlief er im Sessel ein. Wie Sternenberg richtig vermutete, hatte er auch vergessen, die Kaffeemaschine auszuschalten.
    Als Lichtenberg sich aufrappelte, Milch in den Kaffee füllte und sich wunderte, warum sein Getränk plötzlich kalt war – Tarek bekam sich vor Lachen kaum ein –, fühlte sich Sternenberg am Ende seiner Kraft. Doch auf den Vorschlag, sich Samstagmittag mit neuer Energie zu treffen, ging niemand ein. Tarek und Isabel erklärten, sie hätten gerade einen so guten Rhythmus gefunden, Daten aus den Traube-Berichten zu ziehen und sie in die Statistiken zu übertragen. Lichtenberg hatte einen Taschenrechner mit großen Tasten und berechnete die Tortendiagramme neu. Der Mann wirkte auf einmal wieder frisch, fand Sternenberg.
    Ihm selbst ging es nicht gut. Er entschuldigte sich für ein kurzes Schläfchen. Im Büro hatte er noch nie schlafen können, deshalb bat er um eine Auszeit für zwei oder drei Stunden. Es wurmte ihn, dass die drei anderen seine Entschuldigung und seine Verabschiedung kaum zur Kenntnis nahmen. Mit offenen Fenstern fuhr er nach Hause.
    Aus dem Kühlschrank wollte er einen Weißwein nehmen, entschied sich aber für Wasser. Er ging auf den Balkon. Und sah zu den Schornsteinen hinüber. Die Nacht hellte sich schon auf. Die Luft war gereinigt und frisch.
    Er kletterte über die Brüstung und tastete sich zu dem Schornstein vor, an dem er mit Julia Grau gelehnt hatte. Sie wurde entlassen, dachte er.
    Er überlegte, ob es ein unbewusster Wunsch gewesen war, sie wiederzutreffen. Hatte er deshalb vor Müdigkeit seine Kollegen, seine Mitarbeiter im Büro sitzenlassen? Müde fühlte er sich jedenfalls nicht mehr.
    Wollte er ein Wiedersehen mit Julia Grau – oder fürchtete er es? Etwas huschte dicht über ihn hinweg, er zuckte zusammen und verschüttete das Wasser.
    Wahrscheinlich nur eine Fledermaus, dachte er. Fliegen die noch bei Tagesanbruch? Oder haben die am Samstag Wochenende, fragte er sich und ärgerte sich über den Müll, der ihm im Kopf herumsauste und keinen klaren Gedanken fassen ließ. Gibt es Vögel, die im Dunkeln fliegen? Elstern? Krähen? Mauersegler? Mauersegler sehen Fledermäusen in der Dämmerung ähnlich.
    Er fühlte den warmen Ziegelstein an seinem Rücken. Schloss die Augen. Nahm den letzten Schluck Wasser und stellte das Glas auf die körnige Teerpappe. Vögel können nachts nicht sehen, wohin sie fliegen. Sie haben kein Echolot wie Fledermäuse. Oder sehen Vögel in der Stadt die Straßenlaternen? Können sie sich an Fenstern und beleuchteten Türmen orientieren?
    Zum ersten Mal seit langem war ihm kalt. Er drückte sich an den geziegelten Schornstein. Wie ein Vogel über die Dächer zu fliegen, dachte er. Sich an der Kante abstützen und hinuntergleiten lassen, dann ein, zwei Flügelschläge und hinauftreiben lassen, mit dem Auftrieb das nächste Dach erreichen. Und über dir nur der Himmel – und Raubvögel.
    Aber in der Stadt? Welche Raubvögel gibt es da noch? Einen Bussard ab und zu. Oder Turmfalken? Hatte er jemals einen Turmfalken gesehen? Er öffnete die Augen und sah zu dem Kirchturm hinüber, der sich schemenhaft abzeichnete. Die können unglaublich weit sehen. Von weit oben. So viel Überblick müsste man haben.
    Er griff nach dem Glas und erinnerte sich daran, dass es leer war. Schlaf einfach, dachte er. Schlaf ist das Beste jetzt. Es wird kühl, aber ins Bett gehen – keine Kraft.

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