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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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beißenden Rußgeruch, den der Wind herübertrieb.
    Bahn für Bahn ging er ab und betrachtete jede Unebenheit, jeden Klecks, den die Asphaltpinsel vor Jahren auf dem Granulat hinterlassen hatten. Am Rand schaute er vorsichtig auf die Straße hinunter. Nur noch ein Streifenwagen. Von den Bauleuten war noch niemand angerückt. Er ging in die Hocke und drehte sich so um, dass wieder eine ganze Bahn vor ihm lag, die er nun auf Knien absuchte. Er verfluchte den Schatten und wusste, dass er aus der niedrigen Sichthöhe nicht merken würde, wenn jemand auf das Dach käme.
    Wenn jetzt einer an den Tatort kommt, sieht er mich sofort, dachte er, und kroch auf allen vieren, mit den Fingerkuppen über die raue Oberfläche gleitend. Er merkte, dass er aus dem Handgelenk blutete. Es war nicht ein einzelner Splitter, den er sich beim Ausstieg aus der Gaube zugezogen hatte, sondern ein ganzes Nest winziger schwarzer Holzraspel, die an den Pulsadern seines rechten Handgelenks saßen.
    Er tastete den Bereich rund um eine Satellitenschüssel ab, und mit der Scherbe eines vom Schornstein abgeplatzten Ziegels hobelte er Vogeldreck ab, aber nur dort, wo er ihm frisch erschien. An einer Stelle, an der sich der Asphalt mit einer kaugummiartigen Masse verbunden hatte, bohrte er mit dem Finger hinein und fühlte, ob darunter eine Erhebung war. Dann fiel ihm ein, dass es noch nicht so lange her sein konnte. Das Zeichen musste in den letzten 24 Stunden angebracht worden sein, so sauber konnte kein Vogel gearbeitet haben.
    Meist lag es offen. Einmal hatte er es unter einem Brett entdeckt, auf dem eine Schornsteinleiter befestigt war. Ein anderes Mal war die Aluminiumverkleidung eines Abzugs sorgfältig ausgespart worden, sodass er es zunächst übersehen und für einen Schraubenkopf gehalten hatte. Diesmal war es genauso schwierig. Er sah nichts, was darübergelegt sein könnte, und er wusste, dass es nicht die Bestimmung des Zeichens war, nicht gesehen zu werden.
    Die Zeit spielte gegen ihn. Er hörte einen schweren Motor, Bremsen, Türen schlagen. Wenn das die Bauarbeiter waren, hatte er keine Minute zu verlieren.
    An seinen Fingern klebten Granulatsteinchen, sie hingen an dem sich verkrustenden Blut. Die andere Hand schmerzte, weil er sich zu sehr auf sie gestützt, das Gewicht des Körpers unbewusst auf sie verlagert hatte. Jetzt kniete er still an einer Stelle und fuhr mit beiden Händen über die Dachpappe. Wie ein Blinder schloss er die Augen und tastete, obwohl seine Augen ihm schon sagten, dass er nichts finden würde.
    In der Entfernung jaulte ein Martinshorn. Er wartete auf den Dopplereffekt der sich verändernden Frequenz. Also fuhren sie vorbei. Dafür kamen die anderen. Er stand auf und hielt sich die schmerzenden Knie. Sollte er sich irren? War es das erste Mal in dieser ganzen Reihe, dass er nichts finden würde? Mit dem Fuß schob er ein Vorjahres-Ahornblatt beiseite, das ihn schon einmal gestört hatte. Aber jetzt sah er, dass er sich nicht geirrt hatte. Er sah das Zeichen, und mehr wollte er nicht, er musste jetzt nur noch so schnell wie möglich und ungesehen wegkommen. Und den Mund halten.
    Kai Sternenberg beobachtete, wie Isabel jedes einzelne Basilikumblatt von den Mozzarellascheiben nahm und sie zerzupfte.
    » Das verbessert den Geschmack«, sagte sie.
    Er reichte ihr die Ölkaraffe, aber sie lehnte ab und verschwand im Lokal, um mit einer anderen Ölflasche zurückzukommen. Jeder der Basilikumfetzen erhielt einen Tropfen Olivenöl.
    » Also«, sagte sie, » was wissen wir über Anselm Jarczynski?« Es war eine rhetorische Frage, denn sofort begann sie damit, sie zu beantworten.
    Sie stellte sich die Pfeffermühle in die hohle Hand, sodass die Handfläche den gemahlenen Pfeffer auffangen konnte, mit der anderen drehte sie langsam am Kopf der Mühle. Dann stellte sie sie beiseite und rieb den Pfeffer zwischen ihren Handflächen, bis er ganz über dem Mozzarella und dem Basilikum verteilt war. Dabei plapperte sie – ohne ihr Gegenüber eines Blickes zu würdigen – über das, was sie wusste. Den schwarzen Essig ließ sie vom Tellerrand her zur Mitte hin einsickern. Schließlich drehte sie alle halben Cocktailtomaten mit der Schnittfläche nach oben und überstreute sie mit Schnittlauchschnitzen. Aus dem Ciabattabrot stieg eine Dampfwolke auf, als sie es mit beiden Händen auseinanderriss, eine der Hälften in der Luft herumwedelte und sie dann mit schwarzen Olivenringen belegte.
    » Jedenfalls«, sagte sie und biss in das

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