Flammenopfer
warme Brot, schon nach dem hellen Wein blickend, » jedenfalls hat er einen bezeichnenden Musikgeschmack. Die Fotos sind noch nicht entwickelt. Aber was ich sehen konnte war: Madonna, Queen, und diese Teenie-Tussi, deren Namen ich immer vergesse.«
» War er schwul?«
» Sag mal …!« Sie sah ihn vorwurfsvoll an. Er war unsicher, ob es der Ausdruck schwul war, der sie störte. Manchmal fand er Isabel sehr katholisch. Oder hatte er etwas anderes nicht mitbekommen?
» Ich habe solche Platten auch zu Hause, Kai. Also, abgesehen von diesem Babygejaule. Und ich bin trotzdem nicht lesbisch. Überhaupt, was ist denn an Madonna … So ein Quatsch!« Sie stach mit der Gabel drei halbe Cocktailtomaten hintereinander auf, tunkte sie in einen Basilikum-Öl-Tropfen und steckte sie sich schnell in den Mund.
Sternenberg sah sie kauen und auf dem Teller nach dem nächsten Bissen suchen. Er betrachtete sie. Irgendetwas hatte sie mit ihrer Frisur gemacht. Es war nicht großartig, aber etwas gab ihm ein anderes Bild von ihr. Besonders hübsch war sie nicht, die Nase etwas zu männlich, das Kinn ein wenig unentschieden. Etwas beunruhigte ihn. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass er Isabel als eine Frau mit sexueller Ausstrahlung sah. Aber das machte nicht seine Überraschung aus. Solche Untiefen des Denkens und Verlangens gab es nun mal. Er wusste, dass die urtriebigsten Gedanken vor allem dann wie Bojen an die Oberfläche kommen, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Dass das eine menschliche Eigenschaft war, hatte er bei der Begegnung mit Tätern gesehen. Und was er dort nicht fand, das fand er bei den Anrufern der Telefonseelsorge. Sie alle waren ihm zwar fremd, aber nicht wirklich fern.
Er fand es verlockend, sich zuzugestehen, dass er Isabel jetzt, da sie genüsslich in ihren rot-grün-weißen Leckereien wühlte, gern geküsst hätte. Und es war auch nicht überraschend, dass der Gedanke sofort in die Schublade des Absurden abgelegt schien. Die Sicherung funktioniert, dachte er. Was ihn wirklich wunderte war, dass er Isabel zuvor immer als Neutrum wahrgenommen hatte, obwohl sie so oft miteinander gesprochen und gegessen und gealbert und gestritten hatten.
» Glaubst du das auch?«
» Ähm … Bitte? Ich glaube, ich habe eben nicht richtig zugehört.«
» Hm. Ich stell mir dich großartig als Telefonseelsorger vor…«
» He, ich bin einfach müde.«
» Vielleicht solltest du was essen.« Sie hielt ihm die Gabel vor den Mund.
» Nein, lass mal. Es ist wundervoll, dir beim Essen zuzusehen.«
Sie hob die Augenbrauen, hörte auf zu kauen, sah auf dem Teller herum, dann auf dem Tisch, dann wischte sie sich den Mund ab, schaute Sternenberg an und beschloss, weiterzuessen.
» Also, Jarczynski war nicht schwul …«, sagte Sternenberg.
» Richtig. Soweit man das wissen kann. Ein eitler, kleiner Anwalt.«
» Wieso eitel?«
» Weil er, wie ich eben sagte, allein in einer ziemlich teuren Penthauswohnung lebte, obwohl er offenkundig enge Beziehungen zu Frauen unterhielt.«
» Dann bin ich auch eitel, weil ich allein in einer Dachgeschosswohnung wohne?«
Sie sah ihn an und griente.
» Anwalt jedenfalls, das ist klar, ja?«, fragte er.
» Anwaltskammer.«
» Okay. Und gibt es noch was zu den Frauenbekanntschaften zu sagen?«
» Beziehungen. Nicht Bekanntschaften.«
Er hatte wenig Neigung, sie zu fragen, was sie genau unter dem einen und dem anderen verstand. Er nickte.
Sie richtete eine halbe Tomate auf und schob mit der Gabel den Schnittlauch zurecht. » Da ist eine Sache, die ich nicht verstehe. Dein Freund, der Feuerwehrmann – ach so, war es eigentlich in Ordnung, dass ich ihn nicht zu dir gebracht habe? Er hatte viel zu tun, und ich glaube, das Wichtigste habe ich ihn gefragt. Andererseits machte er den Eindruck, als würdet ihr euch aus dem … ähm … canteiro de areia? Wie heißt das? Spielgrube …?«
» … Sandkasten?«
» Ja, er machte den Eindruck, als würdet ihr euch aus dem Sandkasten kennen. War das in Ordnung, dass ich ihn nicht wie verabredet zu dir gebracht habe? Ja? Ich dachte, er wird mir das Wichtigste sagen, wenn er weiß, dass ich von dir komme. Na gut, also, er hat von Brandbeschleunigern gesprochen, die sie gefunden haben. Und auch Traubes Leute würden das so sehen. Dein Freund Brauer hat keinen Zweifel geäußert. Aber ich, ich finde es komisch. In der ganzen Wohnung liegen Splitter, und an vielen Stellen stammen sie von Spiegelglas. Jarczynski war also entweder wirklich eitel. Oder er
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