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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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hinaus, kam aber mit allen Sinnen zurück und hörte.
    Der Mann machte Anstalten, sich zu räuspern.
    Sternenberg wartete.
    » Sind Sie noch da?«, fragte der Mann.
    » Ja.«
    Der Mann räusperte sich. » Ich muss mich nicht mit Namen melden, oder?«
    » Nein, Sie können anonym sprechen.«
    Während der Mann schwieg, schrieb Kai Sternenberg die beiden ersten Sätze des Mannes auf und schob das Buch auf die Schreibfläche zurück.
    » Gerade eben bin ich nach Hause gekommen. Ich arbeite zurzeit nachts, verstehen Sie?«
    » Hm.«
    » Es sind Laborarbeiten, also, das machen Maschinen, aber man braucht Leute, die darauf achten, ob alles ordnungsgemäß abläuft, die ganzen Versuchsreihen. Und die laufen auch nachts. Es gibt bestimmte Substanzen, die miteinander eine Reaktion eingehen sollen, das dauert seine Zeit …« Er räusperte sich wieder. » Sind Sie noch da?«
    » Ja. Sie sind also eben von der Nachtschicht nach Hause gekommen.«
    » Ja, ja, und es ist gar nicht so wichtig, was ich eigentlich arbeite. Ich wollte nur erklären, dass ich nachts arbeite und eben erst nach Hause gekommen bin. Entschuldigen Sie!«
    » Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Was war denn, als Sie nach Hause kamen?«
    Der Mann mochte zwischen 30 und 40 sein. Die Stimme war klar, nicht alkoholisiert. Aber er war nervös oder aufgekratzt und traute sich nicht.
    » Es fällt mir schwer. Ich habe Sie noch nie angerufen, ich meine die Telefonseelsorge. Ich weiß gar nicht, ob es richtig ist.«
    Sternenberg wartete einen Moment, dann sagte er: » Manchmal muss man mit jemandem sprechen.«
    Plötzlich sprudelte es aus dem Mann heraus. » Als ich nach Hause gekommen bin, war Nicki in ihrem Schlafzimmer, und es war ein anderer Mann bei ihr, und die beiden haben es miteinander gemacht. Ich, ich, bin einfach raus und zurück zum Auto, und ich bin durch die Straßen gelaufen und dann habe ich mich ins Auto gesetzt, und jetzt bin ich hier in eines der Cafés gegangen. Eigentlich haben die noch nicht auf …«
    Er sagte nichts mehr, rang um Worte, und dann war es wieder still.
    Sternenberg sagte: » Nicki ist Ihre Frau?«
    » Meine Freundin.«
    » Sie haben sie mit einem Mann in Ihrem Bett gefunden.«
    » Ja, und ich bin gegangen und durch die Straßen gelaufen. Können Sie sich das vorstellen? Ich drehe mich um und gehe und gehe durch die Straßen und mache nichts. Nichts. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
    » Das klingt, als hätten Sie eine Vorstellung davon, was Sie gern getan hätten.«
    » Na ja, was macht man denn? Man schmeißt den Kerl raus. Oder schlägt ihn. Oder so was. Ich kann das nicht. Ich habe mich nie geprügelt. Ich bin ein Feigling.«
    Sternenberg wartete, bevor er etwas sagte, um den Mann nicht zu unterbrechen. » Ein Feigling?«
    » Natürlich. Jemand anderes hätte den Kerl totgeschlagen.«
    » Was ist mit Ihrer Freundin?«
    » Der Typ war in meiner Wohnung, also in der Wohnung von mir und ihr. Die haben miteinander … Und ich sitze herum und habe keine Ahnung, warum ich nichts unternommen habe.«
    » Was ist mit Ihrer Freundin?«
    » Nicki? Ich weiß nicht. Der Kerl hatte mit ihr Geschlechtsverkehr oder so.«
    » Wissen Sie, was mir auffällt? Sie klingen sehr beherrscht. Etwas nervös, okay. Aber sehr, sehr beherrscht.«
    » Ja, ich kann mich beherrschen. Das wenigstens.«
    » Gut, aber nach dem, was passiert ist – Sie hätten jeden Grund, die Beherrschung zu verlieren.«
    » Was hätten Sie denn getan?«
    » Ich weiß es nicht. Aber Sie erzählen mir, dass Sie von der Nachtschicht nach Hause kommen. Und Ihre Freundin hat Sex mit einem anderen Mann. Und Sie sehen das, sind völlig unvorbereitet. Und sehen das. Und Sie bleiben ganz ruhig?«
    Der Mann war still, dann knisterte es. Sternenberg hörte, wie der Mann zu weinen anfing, dass er schluchzte und dass er kein Wort herausbrachte.
    Er hatte den Hörer am linken Ohr und hörte ihn weinen.
    Sternenberg sah kurz geradeaus aus dem Fenster, aber er sah nichts, sondern hörte das Schluchzen des Mannes.
    Der Mann wurde allmählich ruhiger.
    Sternenberg versuchte es vorsichtig mit sanfter Stimme. » Ich glaube, ich würde auch weinen.«
    Der Mann war jetzt ganz still. Dann sagte er: » Aber das kann doch nicht sein. Ich kann doch nicht hier sitzen und wie ein Kind heulen, und da oben hat dieser Typ …« Das Schluchzen kam tief aus seinem Innern.
    » Es war ein Schock für Sie. Sie haben nicht damit gerechnet. Sie sind gegangen, weil Sie die Situation nicht

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