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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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sind gegangen, Sie haben es nicht ertragen. Jetzt, nach dem ersten Schock, kommen die Gefühle, und die überschlagen sich. Was Sie nun klarer sehen, ist die Tatsache, dass Sie in einem Durcheinander stecken.«
    » Ein Chaos! Oder nicht?«
    » Zumindest was die Gefühle angeht, ist es wohl ein Chaos. Erwarten Sie nicht von sich, dass Sie jetzt im Augenblick schon die Lösungen parat haben.«
    » Andere wüssten, was sie tun müssen.«
    » Ist Ihnen das schon mal passiert?«
    Er lachte. » Nein. Das ist das erste Mal.«
    » Tja …«
    » Und da kann man nicht erwarten, dass man gleich alles auf die Reihe bekommt, oder?«
    » Eben.«
    » Glauben Sie, dass Nicki und ich das wieder hinbekommen? Ich meine, gibt es eine Chance, dass wir das klären und uns zusammenraufen? Sie werden das auch nicht wissen. Ich habe Sie ja eben erst angerufen, und Sie kennen mich nicht. Sie können mir das ja gar nicht sagen. Das muss ich selbst versuchen, oder?«
    » Das glaube ich auch.«
    » Na ja, dann danke ich Ihnen.«
    » Was möchten Sie denn jetzt tun?«
    » Ich, ich würde Nicki irgendwie schütteln oder sie anschreien, ach, vielleicht auch nicht, aber jedenfalls würde ich sie zur Rede stellen, was sie damit bezwecken wollte. Ob sie mich verletzen wollte oder eifersüchtig machen, sie muss doch wissen, dass mich das im Herzen trifft. Ich würde sie gern in den Arm nehmen und küssen. – Ist ziemlich verrückt und durcheinander. Vielleicht ist es das Beste, ich bleib noch eine Weile hier sitzen.«
    » Hm.«
    » Ja, ich glaube, ich warte noch ein bisschen, lasse mir das alles noch mal durch den Kopf gehen. Es wird bestimmt irgendwie klarer.«
    » Ja?«
    » Ja. Vielen Dank. Ich glaube, ich lege jetzt auf.«
    » Gut. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
    Ich rede immer noch zu viel, dachte Sternenberg. Er schloss die Leitung und machte seine Eintragungen. Wenn ich müde und unkonzentriert bin, halte ich mich nicht genug zurück.
    In seiner Kladde notierte er dennoch ein Pluszeichen.
    Ich muss gleich morgen früh mit Wolfgang sprechen.

9
    Sternenberg saß in Wolfgang Lichtenbergs Büro und wartete darauf, dass sein älterer Mitarbeiter den Kaffee brachte. Papier stapelte sich auf dem Schreibtisch und auf den Beistelltischen, es quoll aus den Regalen und drohte mit tektonischen Verwerfungen auf den Schränken, Fensterbrettern und auf dem Fußboden. Nur eine Ablagefläche hinter Lichtenbergs Drehstuhl war aufgeräumt.
    Dort stand das Modell eines mehrschlotigen Schiffes – die Schlesien. Wolfgang Lichtenbergs Vater hatte auf ihrem Schwesterschiff gedient, der Deutschland, aber von ihr hatte er kein Modell. Oder war es umgekehrt: Das Modell stellte die Deutschland dar, der Vater war aber auf der Schlesien gewesen? Sternenberg konnte es sich nicht merken, und an der Stelle eines kleinen Messingschildchens waren nur noch Klebstoffspuren auf dem Holzsockel geblieben.
    Vater Lichtenberg hatte keine Heldentaten begangen, er war gerade mal Oberheizer gewesen, und mit hunderten von Matrosen war er zwischen den Weltkriegen auf den Meeren gekreuzt. Wolfgang Lichtenberg erzählte oft von seinem Vater. Nicht voller Lob und Ehrfurcht, sondern als Beispiel für ein verschenktes Leben. Das Schiffsmodell im Büro seines Sohnes hätte dem Vater gefallen.
    Daneben stand ein Röhrenradio. Nicht so alt wie ein Volksempfänger oder eines dieser Klapptürmodelle, aber immerhin hatte es diese grüne Röhre zum Ablesen der Senderschärfe. Das erinnerte Sternenberg an seine Kindheit. Wie viele Stunden, dachte er, habe ich vor so einem grünen Licht gesessen und mir eingebildet, es sei das Radar eines Flugzeuges oder die Anzeige in einem Raumschiff. Leuchtdioden gab es in den Sechzigern und Siebzigern noch nicht. Erzähl bloß niemandem von deinen Radiostunden, sonst halten sie dich für senil. Die Kindheit – nicht lange her, und doch reichte es schon zur Nostalgie.
    Wolfgang Lichtenberg stellte die Kaffeetassen zwischen die Papiere. Er beugte sich über seine Tasse, rührte in dem schwarzen Kaffee herum und verzog kopfschüttelnd das Gesicht: » Was für ein trauriges Getränk das doch eigentlich ist.«
    » Vielleicht solltest du dir eine Espresso- und Cappuccino-Maschine anschaffen.«
    » Dazu hattet ihr bei meinem Jubiläum Gelegenheit. Stattdessen habt ihr mir lieber diese Reise geschenkt. Selbst schuld.«
    » Nach Paris. Immerhin.«
    » Schrecklich. Erinner mich nicht an diese Reise! Kakerlaken im Hotel und draußen die Autobombe … Vielen Dank noch

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