Flammenopfer
saßen junge Frauen und Männer auf Sitzbänken und tranken Milchkaffee oder Mineralwasser. Zwei teilten sich ein Stück Torte.
Kai Sternenberg ging quer über die Straße. Auf dem Asphalt, auf dem Kopfsteinpflaster und auf den Gehwegen fuhren Räder. Eine langhaarige Frau in einem dunkelblau-weißen T-Shirt fuhr freihändig und hob die langen Haare beidhändig über die Schulter, um Luft an ihren Nacken zu lassen.
Eine Mutter auf dem Rad hielt an. Sie wartete auf ihre Kinder. Das eine war vom Kinderrad gestiegen und untersuchte eine tote Taube. Das andere belastete das Stützrad zu sehr und drohte gegen eine Hauswand zu fahren. Aus dem Haus trat gerade ein alter Mann. Er sah das Kind und hielt ihm die offene Hand entgegen. Das Kind sah den Mann mit großen Augen an. Er lächelte und legte ihm die Hand auf den Kopf. Die Mutter rief ihre beiden Kinder.
Vor der Feuerwache in der Oderberger Straße, vor der auf beiden Straßenseiten jegliches Parken und Halten verboten war, was diesem Abschnitt etwas Plazahaftes verlieh, wurden vorüberkommende kurzberockte Mädchen aus den Fenstern der Feuerwache mit Wasser beschossen. Die Männer in ihren Shirts lehnten auf der Balustrade und luden eine knallbunte Wasser-Pumpgun nach. Sternenberg hatte den Eindruck, dass die Mädchen es ihnen nicht übel nahmen.
Berlin ist im Sommer eine andere Stadt, dachte Sternenberg. In den wenigen Tagen im Jahr bricht alles Mediterrane, das die Stadt in den Zeiten des Schnees und des Matsches, des Schneeregens und des Dauerregens und in den Zeiten der meteorologischen Unentschlossenheit ansammelt, aus ihr heraus. Aus dem preußischblauen Berlin wird für kurze Zeit ein norditalienisches Berlino.
Als er die Bernauer Straße überquerte, fiel ihm ein, dass er nach dem Dienst bei der Telefonseelsorge am Morgen nicht zum Plötzensee schwimmen gefahren war. Er hatte schnell wieder im Büro sein wollen. Die Erfrischung hätte ihm gut getan.
Er stieg den sanften Hügel des Mauerparks hinauf und spürte die Mittagssonne als Last auf seinem Rücken. Oben an der Mauer, die den Park vom Stadiongelände trennte – lange hatte sie zwei Welten getrennt, heute sprühten Graffitisprayer ihre Phantasiewelten auf die Mauer –, standen Schaukeln.
Sternenberg setzte sich auf eine von ihnen, brach ein Stück aus der halben Melone und aß pendelnd. Dann streckte er die Beine Richtung Wedding und spürte den Luftzug, der ihm abwechselnd ins Gesicht wehte und dann von hinten kam. Wenn man so schaukelt, fürchtet man den Stillstand. Luft in Bewegung ist phantastisch. Mit Wasser ist das anders. Bei Wasser spielt es keine Rolle, ob es sich bewegt.
Auf dem Treppenabsatz vor seiner Haustür saß Petra Masalia. Sie habe von Wolf Lichtenberg gehört, dass er zu Hause sei. Er bot ihr einen Schnitz Wassermelone an, und sie nagte bis dicht an die Schale, während sie im Lift hinauf zu seiner Wohnung fuhren.
» Es tut mir leid, dass ich dich störe.«
» Setzen wir uns auf die Terrasse.« Er sah die Gläser neben dem Schornstein stehen, aber Petra hatte keine Augen dafür.
» Es tut mir wirklich leid.«
» Hör auf. Du kannst jederzeit vorbeikommen. Was bedrückt dich?«
» Ich wollte das alles mit mir selbst ausmachen, aber irgendwie …« Sie fuchtelte mit den Armen über die Dächer.
Er sah sie an und wartete. Sie sortierte ihre Gedanken.
» Ich stecke in der Klemme. Obwohl … Nein, eigentlich ist es ganz einfach. Tobias hat eine Spur. Jedenfalls vermute ich das stark. Es gibt da ein paar Besonderheiten, die für uns wichtig sein könnten. Ich weiß, du sagtest mir, ich soll das nicht erzählen. Aber ich bin nun mal in deiner Truppe, und wir leben von Informationen.«
Er sah sie an und wartete. Dann sagte er: » Und?«
Sie stockte. » Na ja, es geht um seine Ermittlungen und eine brisante Sache.«
Er wartete und schwieg.
» Du hast gesagt, ich muss mich zwischen Tobias und unserem Team entscheiden. Das kann ich nicht. Ich liebe ihn. Und ich liebe meine Arbeit. Ich werde nicht Fakten, die für die Ermittlung wichtig sein könnten, zurückhalten. Du hast gesagt, dass ich erledigt bin, wenn ich ihm davon erzähle. Dass wir ihn beobachten. Ich sage ihm nichts davon. Ehrenwort.«
» Gut. Weiter.«
» Heißt das, ich kann dir sagen, was ich weiß?«
» Petra, warte nicht auf meine Erlaubnis.«
» Du wolltet mich rausschmeißen, wenn ich illoyal bin.«
» Ja. Illoyal mir gegenüber, der Polizei gegenüber. Aber jetzt betrügst du ihn, nicht uns. Du musst
Weitere Kostenlose Bücher