Flammenpferd
überragte Hella um einen Kopf, und ihr sehniger Körper strahlte Energie und Ausdauer aus. Hella fragte sich, wie Uschi ausgerechnet an einen Sohn wie Benni geraten war, ein schlaksiges und verdruckstes Kerlchen mit kahl geschorenem Kopf. Der Junge war Hella im Frühstückszimmer aufgefallen, weil er beim Abräumen so ungeschickt mit dem Geschirr hantierte. Benni sei nicht unbedingt helle, meinte ein Reitgast, und Uschi und Bernd schwebten angeblich in ständiger Sorge darüber, was aus dem Jungen einmal werden sollte.
Nach dem ausgiebigen Sonntagsfrühstück mit den anderen Reitgästen, einem jungen Paar aus Österreich und zwei Freundinnen Anfang vierzig, die dem Familienalltag entflohen waren, hatte Hella sich von Uschi Klinghöfer zu einem Rundgang über den Hof einladen lassen. Nun standen sie vor einem robust gezimmerten Unterstand, dem ein enger Paddock vorgelagert war. Nebeneinander lehnten sie am hohen Holzzaun. Auf der Innenseite des Paddocks war ein Elektrozaun gezogen, und die Stromschläge tickten hörbar. Der Hengst hielt sich im Zentrum des Paddocks auf. Die gespannte Haltung spiegelte sein Unbehagen ebenso wieder wie die angelegten Ohren. Der lange und für einen Lusitano typische aufgewölbte Schädel ließ das Tier aggressiver wirken, als es jedem deutschen Warmblüter möglich gewesen wäre. Sein muskulöser, hoch aufgesetzter Hals wirkte dank des ausgeprägten Hengstkamms außerordentlich wuchtig, hielt sich aber im harmonischen Gleichgewicht zu dem kurzen breiten Rücken und der mächtigen gespaltenen Kruppe. Ein Pferd, wie von einem barocken Denkmal herab gestiegen, und aller geballten Muskelkraft und den markanten Linien zum Trotz frei von jeglicher Grobheit. Die ganze Pracht steckte in einem flammend roten und glänzenden Fell und wurde gekrönt von einer wallenden pechschwarzen Mähne, einen üppigen schwarzen Schweif und dunklen kräftigen Beinen. Ein Traum von einem Hengst. Wenn er nur eine Spur freundlicher aus den herrlichen großen Augen geschaut hätte.
„Wie bist du an einen solchen Schatz gekommen?“, fragte Hella beeindruckt. Gleich zu Beginn des gemeinsamen Abends, der in fröhlicher Runde am Kamin geendet hatte, waren alle Gäste und das Ehepaar Klinghöfer auch mit Hella zum Du übergegangen.
„Normalerweise kommt man an ein Pferd von solcher Qualität und Abstammung nicht ran“, erklärte Uschi. „Und wenn, könnte man es nicht bezahlen. In diesem Fall war es anders. Der Vorbesitzer hatte ein Problem mit Fadista. Er wäre blamiert, wenn ein anderer Reiter mit einem geläuterten Fadista in der Arena auftreten würde. Nur deshalb hat er mir den Hengst überlassen. Mich kennt in der Stierkampfszene keiner, und so ist das Pferd aus dem Blickwinkel der Konkurrenz verschwunden. Ihm wäre es Recht, wenn ich Fadista so bald wie möglich nach Deutschland verkaufen könnte.“
„Welches Problem hatte der Mann mit Fadista?“
Uschi grinste. „Ein erhebliches Problem für einen Reiter: Fadista ließ ihn nicht aufsitzen.“
Der Hengst stampfte mit dem Huf auf, um die Fliegen zu vertreiben. Seine Beine glichen Säulen.
„Und wie ergeht es dir?“, fragte Hella.
„Mich lässt er in den Sattel“, erwiderte Uschi stolz und fügte bescheidener hinzu, dass ihre bisherigen Versuche eher mit dem Ritt auf einem Vulkan als mit solider Dressurarbeit zu vergleichen wären.
Hella war wie gefangen von dem Anblick. Dem Hengst schien es nicht zu behagen, so unverblümt angestarrt zu werden. Ärgerlich legte die Ohren noch eine Spur enger an den Hals und schüttelte drohend die üppige Mähne. Dabei kam der kurze Strick ins Schlenkern. Er war in den spanischen Kappzaum eingehängt, der den schmalen Nasenrücken umschloss.
Uschi bemühte sich um eine Erklärung. „Vor der Serreta hat er Respekt.“
Damit war der eiserne Bügel gemeint, der über dem Nasenrücken des Pferdes lag. Hella hatte einmal eine besonders scharfe Serreta in den Händen gehalten und erinnerte sich mit Grausen an die gezackten Metallspitzen auf der Unterseite, die dem Menschen die Gewalt über das Tier verleihen sollten.
„Geht es nicht ohne das?“, fragte sie mit Befremdung.
Uschis Lächeln blieb freundlich. „Die Serreta mag auf dich übertrieben wirken. Aber glaube mir, mit Fadista kann man im Augenblick nicht anders umgehen. Natürlich ist es mein erstes Ziel, davon weg zu kommen.“
„Aber du lässt den Kappzaum doch nicht die ganze Zeit drauf“, fragte Hella entsetzt.
„Ich schnalle ihn locker“,
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