Flammenpferd
der Universitätsstadt, sondern in Amsterdam. Ob Hella etwas zum Schreiben parat hätte? Hella schnappte sich einen Stift und notierte die Adresse.
„Hilft dir das weiter?“, fragte Jette neugierig.
„Das werde ich gleich wissen“, sagte Hella, obwohl sie ziemlich sicher war. „Danke, und einen Gruß an Uschi.“
Sie suchte den Schlüssel aus dem Karton heraus und lief die Treppe hinauf ins Dachgeschoss. Ohne den Schlüssel draußen abzuziehen, zog sie die Tür hinter sich zu und durchquerte mit schnellen Schritten den Raum. Ein Griff unter die Matratze, und sie hielt die blaue Mappe mit Nellis Unterlagen in den Händen und suchte hastig das Bild heraus, auf dessen Rückseite Nelli die Amsterdamer Anschrift notiert hatte. Ihr Gedächtnis hatte sie nicht getrogen: Jans und Swantjes Adressen stimmten überein. Wenn das kein Beweis war!
Ein Schrei zerriss die Stille im Haus. Ein Schrei voller Verzweiflung und Wut. Die Dewezet, fiel Hella ein. Die Zeitung lag aufgeschlagen auf dem Küchentisch, und nun hatte Swantje das Bild und die Meldung über den Tod ihres Freundes entdeckt. Eilig raffte Hella die losen Blätter zusammen, steckte sie in die Mappe zurück und ließ alles mitsamt dem Foto wieder unter der Matratze verschwinden. Sie hörte, wie Swantje die Treppe herauf rannte und dabei laut nach Hella brüllte. Hella war noch nicht an der Tür, als Swantje ins Zimmer stürmte.
„Wo ist sie?“, schrie Swantje. „Wo ist Kati?“
Sie baute sich vor Hella auf und fuchtelte mit der Zeitung in der Hand vor Hellas Nase herum.
Vor so viel geballtem Zorn wich Hella unwillkürlich einen Schritt zurück. „Welche Kati? Wen meinst?“
Swantje hielt die Zeitung still und schien für einen winzigen Moment verblüfft. Sie rang nach Luft. „Jana meine ich! Wo steckt dieses Ungeheuer?“
„Beruhige dich, Swantje. Was willst du von ihr?“
„Was ich von ihr will?“, schrie Swantje außer sich. „Sie hat Jan umgebracht! Sie hat ihn erschossen und verbrannt!“
Die Aussage war absurd. Die zarte Jana, eine Mörderin? Hella zog sich weiter zurück. Swantje machte ihr Angst. Sie schien nicht mehr bei Sinnen zu sein und starrte Hella aus rot unterlaufenen Augen an wie ein portugiesischer Stier. Sie hatte den Dreh- und Angelpunkte ihres Lebens verloren, und das machte sie unberechenbar.
„Ich bringe die Hexe um!“, kreischte sie.
Das meint sie ernst, befürchtete Hella. Falls Jana sich auf dem Hof herumtrieb, konnte sie der Amok laufenden Swantje in die Hände fallen. „Warum sollte Jana so etwas tun? Woher sollte sie die Waffe haben? War es nicht eher einer aus eurer Pillenmafia?“
Swantje erstarrte und wurde blass. „Was sagst du da?“, hauchte sie.
„Ich weiß über alles Bescheid, Swantje. Die Medikamente sind an einem sicheren Ort. Ich werde die Polizei anrufen.“
Sie streckte beschwichtigend die Hände aus und wollte an Swantje vorbei gehen.
Swantje brüllte: „Das tust du nicht!“, und spurtete zur Tür.
Hella rannte ihr nach und packte Swantje an den Schultern. Swantje schlug um sich und fasste während des Gerangels nach dem Regal neben der Tür. Sie riss daran und warf es gegen Hella, die strauchelte und stürzte. Eine Reihe von Reitlehren, Fütterungsanleitungen und LPO-Ordnern, die Sammlung verstaubter Pokale, die heraus gerissenen Regalböden, all das ergoss sich über Hella. Bis sie sich aufgerappelt hatte, war Swantje draußen. Die Tür schlug zu, und bevor Hella nach der Klinke greifen konnte, hörte sie das leise Schrappen, mit dem der Schlüssel von außen umgedreht wurde.
39
Sie rüttelte an der Klinke und polterte gegen die Tür. Vergeblich, da war nichts zu machen. Türblatt und Rahmen entstammten solider Tischlerarbeit und waren aus robustem Holz gefertigt. Diese Tür ließ sich nicht so leicht eintreten und keinesfalls in Birkenstocksandalen. Hella griff sich an die Hosentaschen, um sich noch einmal zu vergewissern, dass sie das Handy tatsächlich nicht dabei hatte. Draußen auf dem Hof ertönten Hufgetrappel und aufgeregtes Prusten. Sie stürzte zu einem der Gaubenfenster, und was sie dort unten zu sehen bekam, brachte sie noch stärker ins Schwitzen. Jana führte den tänzelnden Fadista in den Pensionsstall hinein. Die Pferde, die unruhig darauf warteten hinaus zu kommen, gerieten durch den fremden Hengst in Aufruhr. Ihr schrilles Wiehern, Stampfen und Quietschen drang bis zum Dachzimmer hinauf. Dazwischen trompetete Fadista mit seiner herrischen hellen Stimme. War Jana
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