Flammenpferd
Morgen durch den Kopf ging, war düster und freudlos. Der Albtraum verfolgte sie und verschärfte die Erinnerung an das, was von Blitz übrig geblieben war. Sie musste ihn aus der Scheune bergen und in sein Grab zurück bringen. Eine Vorstellung, vor der es ihr grauste, und der die Frage folgte, was wegen Jana geschehen sollte. Schließlich verbat sie sich jedes weitere Nachdenken über ungelöste Fragen bis zum Frühstück und konzentrierte sich auf die Arbeit. Sobald die Pferde mit Futter versorgt waren, stattete sie Melody einen Besuch ab. Wie Jackson langweilte sich auch die junge Stute schnell, wenn ihr die Beschäftigung fehlte. Einige Tage würde sie noch auf die Ausritte verzichten müssen. Hella putzte sie gründlich, sah nach den Hufen und kraulte ihr ausgiebig die Stirn.
Fadista hatte aus der Nachbarbox alles aufmerksam verfolgt. Ihm würde später genügend Zeit für sein Heu bleiben, und so wollte sie die Morgenstunde für ihn nutzen. Sie hatte gelernt, ihn besser einzuschätzen. Seine Sinne waren geschärft wie die eines Wildtiers, und sein Misstrauen schien bisweilen so unendlich wie das eines Mustangs. Sie wandelte auf einem schmalen Grat, wollte sie ihn nicht in eine Abwehrhaltung drängen und trotzdem Gehorsam verlangen. Selbstsicher musste sie sein, ohne bedrohlich zu wirken, und die feine Balance finden, zwischen fordern und gewähren lassen.
Jeden Besuch hatte sie dazu genutzt, wie beiläufig ins Halfter zu fassen und ihn beim geringsten Misstrauen wieder frei zu geben, bis er die Hand duldete und sich über den Paddock führen ließ. Und zwischendurch hatte sie nichts anderes getan, als sich vom Widerrist über den Mähnenkamm mit federleichten Berührungen bis zu seinen Ohren hinauf zu schmeicheln. Trotzdem fühlte sie sich jedes Mal, wenn sie ihn für die Longenarbeit vorbereitete, besonders gefordert. Er senkte den Kopf und ließ sich das sanfte Kraulen gefallen. Mit der anderen Hand griff sie nach der Trense. Er nahm das Gebiss an und wehrte sich nicht, als sie ihm den Genickriemen über die Ohren streifte. Anschließend schnallte sie die Longe in den Trensenring und führte den Hengst durch die Box und auf die Stallgasse hinaus. Er schnorchelte aufgeregt. Den Weg zur Reithalle legte er tänzelnd zurück und biss rastlos auf dem Trensengebiss herum. Kurz vor dem Hallentor bäumte er sich auf und scheute mit einem hohen Satz. Hella hatte blitzschnell mit der Longe nachgeben und gewann seine Aufmerksamkeit zurück, bevor er sich losreißen konnte.
Zu dieser frühen Stunde hatten sie die Reithalle für sich allein. Vorsichtig nahm Hella die lange Longierpeitsche auf, die in einer Ecke bereit lag. Fadista schnorchelte und wich zurück, bis sie die Peitsche in den Sand legte. Runde um Runde galoppierte er, und sie wusste, dass nichts ihn bremsen konnte, bis er seinen Bewegungsdrang abgelaufen hatte. Schließlich fand er von selbst in den Trab hinein, und es dauerte weitere Runden, bis seine Tritte ruhiger wurden. Als sie in einem zweiten Versuch die Peitsche aufnehmen wollte, ergriff er aufs Neue die Flucht und stach mit aufgeworfenem Kopf davon. Das war kein Trab, der seinem Rücken gut tat. Sie senkte die Peitschenspitze zum Boden und wartete geduldig ab, bis er gelassener wurde. Als sie die Peitschenspitze sachte schwang, reagierte er endlich wie gewünscht. Er wölbte den Hals auf, streckte entspannt den Kopf vor und trabte mit längeren Schritten voran, ohne schneller zu werden. Sie lobte ihn und schmeichelte ihm, und während er ihr aufmerksam ein Ohr zuwandte, wurde er Runde um Runde lockerer. Die Hinterbeine griffen weiter aus, schwangen immer müheloser unter den Pferdebauch, und Hella konnte beobachten, wie die Muskeln zu spielen begannen. Nicht allein die starken Beine trugen das Pferd vorwärts, nun waren Rücken und Bauch, war der Körper mit all seinen Muskeln und Sehnen am Traben beteiligt. Nach weiteren Runden auf der anderen Hand bekam sie eine Ahnung von der Anmut und Schönheit der Bewegungen, wenn Fadista einmal von allen Verspannungen und Schmerzen befreit wäre. Doch so würde sie ihn niemals erleben, geschweige denn reiten dürfen! Wenn nicht etwas Entscheidendes geschah, trat er in wenigen Tagen die Reise nach Amsterdam an.
37
Die toten Augen ließen sie nicht los. Wohin sie sich auch wandte, der gespenstische Blick hielt sie gefangen, seit der abnehmende Mond hoch am Himmel stand. Davor war ihr die Verfolgung nicht aufgefallen. Das Feuer war rein und stark
Weitere Kostenlose Bücher