Flammenzungen
zweites Mal. Aber wie sie ihr Glück kannte, stand einer der Nachbarn hinter seinen Gardinen und hatte bereits das Telefon in der Hand, um einen Rundruf zu starten, dass ein höchst fragwürdiger Mann bei ihr einkehrte.
Glücklicherweise stand Skylers Wagen nicht vor der Tür. Ihr Cousin wohnte nebenan, was ein Fluch und ein Segen zugleich war. Er hatte ihr die Patronen für den Revolver besorgt, half ihr bei Reparaturen und vertrieb hartnäckige Vertreter. Aber obwohl sie noch nie mitbekommen hatte, dass er ihren Eltern, die in der Nachbargemeinde Avondale lebten, Bericht erstattet hatte, fühlte sie sich manchmal überwacht. Sie versuchte es positiv zu sehen: Niemand konnte ihr etwas antun, da er sie im Auge behielt. Es sei denn, sie lud den Teufel selbst in ihr Refugium ein.
Lorcan stellte seinen Rucksack auf dem Sofa ab, hielt ihn jedoch an beiden Schulterriemen fest. „Nicht viele Menschen würden heutzutage noch in so ein Haus einziehen.“
Sie trat hinter ihm ein. Die Luft im Inneren war zum Schneiden dick, unangenehm schwülwarm, aber zu lüften würde ihnen keine Abkühlung verschaffen. Dennoch schwärmte sie aus dem Brustton der Überzeugung: „Ich liebe es. Es ist schnuckelig und besitzt einen ganz eigenen Charme.“
In ihren Augen war es etwas Besonderes, ein Kleinod. Es gab keinen Flur, sondern die einzelnen Räume waren hintereinander angeordnet. Man nannte Häuser wie das ihre Shotgun House, denn wenn alle Türen offen standen, konnte jemand mit einer Schrotflinte durch das komplette Gebäude schießen, ohne etwas zu treffen.
Erst im Frühjahr hatte Skyler ihr geholfen, die Fenster mit Silikon abzudichten, und gemeinsam mit ihrem besten Freund Nabil Laminat verlegt, sodass im kommenden Winter das Holzgebäude nicht ganz so schnell auskühlen würde wie im Jahr zuvor. Louisiana war nicht Alaska, aber wenn man es schön warm gewohnt war, fror man schon bei acht Grad. Das alte Haus hatte sich als zugig und die Heizung als altersschwach entpuppt, doch Amy hatte kein Geld für eine neue.
Amy führte Lorcan vom Wohnzimmer durch das Schlafzimmer - als sie an ihrem Bett vorbeigingen, stieg ihr Puls plötzlich an, und sie starrte stur geradeaus - ins Bad. „Hier kannst du erst mal deine Wunden auswaschen.“
„Danke“, sagte er und nahm das Handtuch an, das sie ihm reichte.
Nervös, da er sie musterte, nahm sie einige Dinge aus dem Schrank, der über ihrem Waschbecken hing. Eigentlich hatte sie geplant, Lorcan zu verarzten, doch jetzt hielt sie es für ratsam, ihm nicht noch einmal so nah zu kommen wie am Eingang. „Hier sind Wundheilsalbe und Pflaster, mehr habe ich leider nicht da.“
„Das wird reichen.“ Er nickte, streckte seine Hand danach aus und runzelte die Stirn, als sie beides auf den Beckenrand legte, anstatt es ihm zu geben.
Ihre Wangen brannten, denn seine Augen funkelten, als ahne er, dass sie weitere Berührungen vermeiden wollte. Hautkontakt mit ihm brachte Amy durcheinander, und sie musste einen kühlen Kopf behalten, damit die Situation ihr nicht entglitt. „Ich bin in der Küche und setze Kaffee auf.“ Bevor er etwas erwidern konnte, zog sie die Zwischentür hinter sich zu. Sie lauschte, doch sie hörte nur, dass er die Tür zum Schlafzimmer schloss. Wollte er sie nicht verriegeln, um zu vermeiden, dass sie hereinkam? Befand er sich überhaupt noch im Bad, oder durchwühlte er gerade ihre Sachen, auf der Suche nach Geld, Schmuck - oder Unterwäsche? Sie liebte ihr Shotgun House wirklich, doch in diesem Moment vermisste sie einen Flur, denn sie konnte die anderen Räume nicht im Blick behalten. Die einzige Möglichkeit bestand darin, den Hinterausgang zu nehmen, um das Haus herumzuschleichen und von außen durch die Fenster hineinzuschauen.
Während sie noch darüber nachdachte, vernahm sie das Plätschern der Dusche. Erleichtert atmete sie aus, stellte die altersschwache Klimaanlage an, die noch lautere Geräusche von sich gab als der Kühlschrank, und füllte Wasser in die Kaffeemaschine. Sie gab einen Löffel Kaffeepulver mehr als üblich in den Filter, denn sie vermutete, dass ein starker Mann wie Lorcan auch einen starken Kaffee bevorzugte, und schaltete das Gerät ein.
Ungeduldig lief sie in der Küche auf und ab. Nachdem die Dusche abgedreht worden war, tat sich lange nichts. Der Kaffee war längst fertig. Wo blieb Lorcan nur? Was tat er die ganze Zeit? Suchte er in ihren Badezimmerschränken nach Medikamenten? Oder war er längst abgehauen?
Beunruhigt ging sie
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